Eine halbe Ewigkeit

Alt und frisch. Aquarell von Gabriele Koenigs (2019). Als Originalbild erhältlich
Alt und frisch. Aquarell von Gabriele Koenigs (2019). Als Originalbild erhältlich

Jetzt sind wir schon eine ganze Woche zuhause. Es fühlt sich für mich an, als sei es eine halbe Ewigkeit. Ich bin sehr gerne mit meinem Mann zuhause. Wir haben es gut. Wir haben genug Platz. Wir lieben uns. Aber allmählich geht uns der Gesprächsstoff aus. Es ist viel interessanter, wenn man hier und da weg ist, unterwegs etwas sieht oder erlebt, und dann nachhause kommt und etwas zu erzählen hat. Ich stelle mir vor, dass es für manche Leute jetzt viel schwieriger ist als für uns. Sie haben nicht genug Platz. Sie haben sowieso Probleme miteinander. Sie gehen sich so richtig auf die Nerven. Wie  lange soll dieser Zustand noch dauern? Wie lange halten wir das noch aus?

 

Bäume bleiben ganz lange an ihrem Platz. Sie rennen nicht hierhin und dorthin. Sie erleben auch viel. Aber sie erleben es alles an ihrem Platz. Ich bewundere die Bäume. Ich werde nie müde, sie anzuschauen und sie zu bestaunen. Diese alte Eiche ist schon mehr als 600 Jahre an ihrem Platz, oberhalb von Baden-Baden. 600 Jahre, das ist wirklich eine halbe Ewigkeit. 600 Jahre - erstaunlich, dass ein Wesen überhaupt so lange leben kann. Sie hat viele Stürme erlebt. Viele Äste sind abgebrochen. Da waren harte, kalte Winter und heiße Sommer. Es gab Zeiten, wo das Wasser ganz knapp war. Und Zeiten, in denen die Luft sehr schlecht war. Sie hat das durchgestanden. In jedem Frühling hat sie eine Fülle von frischem Grün hervorgebracht. Viele Menschen steigen den Weg dort hinauf. Sie steigen alle über ihre Wurzeln. Die Wurzeln liegen zum Teil blank da. Sie steht das durch. Es gibt noch andere Wurzeln, viel tiefere. Sie halten den Baum. Ihre Kraft kommt aus der Tiefe. 

 

Es tut gut, die eigene Erfahrung jetzt ein wenig zu relativieren. Ehrlich gesagt: Was ist denn schon eine Woche? Wir können viel mehr durchhalten. Wir sind doch auch stark, nicht wahr? Erinnern wir uns an unsere Stärke. Erinnern wir uns an das, was uns Kraft gibt. 

 

Manchmal denke ich, dass wir diese augenblickliche Heruasfoderung durchleben müssen, um von unserer Rastlosigkeit frei zu werden. Das hat ja in den letzten Jahren so überhand genommen. Wir fahren und fliegen mal hierhin, mal dorthin. Kaum sind wir zuhause, schon haben wir wieder Pläne für die nächste Reise. Am rastlosesten sind die Menschen am Anfang des Ruhestandes. Sie haben keine berufliche Aufgabe mehr, sind ungebunden und bekommen trotzdem monatlich ihr Geld. Alle klagen über Zeitknappheit, und dass sie eher einen Unruhestand erleben als einen Ruhestand. Läuft da nicht wirklich etwas ganz verkehrt????? Muss diese Rastlosigkeit wirklich sein? Was tun wir damit uns selbst und der Schöpfung an?

 

Wenn Sie die Möglichkeit haben, gehen Sie eine Weile nach draußen und lassen Sie die Bäume zu sich sprechen. Ich bin überzeugt, dass sie Ihnen etwas Wichtiges zu sagen haben. 

 

Gottes Liebe hört niemals auf. Sie wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. 

 

Ich wünsche Ihnen allen und Euch allen einen guten Tag. 

Gabriele Koenigs