Der Mann im Wald

Eine Leserin dieses Adventskalenders hat mir die Geschichte von ihren Söhnen und dem Mann im Wald erzählt. Ich habe sie für Sie und für Euch aufgeschrieben, mit ihrer Erlaubnis.

 

 

Marius und Samuel wohnen in einem Haus dicht am Wald. Sie sind Brüder. Sehr oft streiten sie sich. Sie tragen das auch körperlich aus. Ihre Mutter bekommt Angst, wenn sie sieht, wie die beiden aufeinander losgehen. Etwas geht zwischen den beiden vor, das ihr völlig unbegreiflich ist. Wie oft hat sie versucht, zwischen den beiden zu schlichten!  Es hat einfach nichts genützt. Sie vermutet, dass es etwas mit Eifersucht zu tun hat. Aber sicher weiß sie das nicht. Es ist eine ganz dunkle Dynamik.  Als sie ein kleines Mädchen war, hatte sie zwei Brüder, die auch sehr heftig miteinander umgingen. Schon damals hat ihr das Angst gemacht. Schon damals fühlte sie sich so hilflos. Wenn ihre Söhne aufeinander losgehen, kommt etwas von der Angst von früher wieder in ihr hoch. Sie ist ratlos und völlig überfordert.  

 

Marius und Samuel sind oft im Wald. Sie brauchen die Freiheit. Hier schaut niemand, was sie tun. Hier bekommt niemand Angst, wenn sie aufeinander losgehen. Hier können sie so wild sein und so laut wie sie wollen. Hier finden sie Stöcke und Dreck. Hier denken sie sich Geschichten und Abenteuer aus. Hier werden sie nicht bestraft. Hier können sie sich selbst vergessen.

Eines Tages geht es mal wieder besonders hoch her. Sie haben sich ineinander verkeilt. Jeder tut dem anderen weh. Der Jüngere heult und kratzt und beißt. Der Ältere drückt ihm beinahe die Luft ab und schreit ihn an. Es ist diesmal wirklich gefährlich. Sie kennen keine Grenze mehr.

Plötzlich steht ein Mann da. Sie haben ihn nicht kommen hören.  Sie kennen ihn nicht. Er spricht sie an. „Hört auf, ihr Beiden!“ „Hört sofort auf!“ Er rührt sie nicht an. Er schreit nicht. Er ist ganz ruhig. Und er hat eine unglaubliche Autorität in seiner Stimme. Seine Worte haben Kraft.

Sofort hören die beiden auf. Sie lösen sich voneinander und stehen auf. Sie klopfen sich den größten Dreck vom Leib und wischen das Blut und die Tränen mit dem Ärmel weg. „Bestimmt will er wissen, was hier los ist“, denkt der Jüngere. „“Wahrscheinlich fragt er, wo wir wohnen und wie wir heißen, denkt der Ältere.“  Aber nichts dergleichen geschieht. Der Mann ist spurlos verschwunden. Sie schauen in alle Richtungen. Er ist nirgends mehr zu sehen. Keine Spur mehr. Kein Geräusch, gar nichts von ihm. Sie lauschen. Sie hören jetzt auf einmal die Vögel singen. Sie hören das Rascheln der Blätter. Sie spüren den tiefen Frieden, der da ist – jetzt, wo ihr Kampf aufgehört hat. Sie schauen einander an.  Eine ungewohnte Stille ist da. So ungewohnt. So fremd. Und doch so gut.

In diese Stille hinein sagt einer: „Ich glaube, das ist Jesus gewesen.“ „Meinst du das wirklich“, fragt der andere. „Ja, er war so besonders. Das kann nur Jesus gewesen sein.“

 

Die Kinder waren berührt von der ruhigen Autorität dieses Mannes. Sie sagten: Das war Jesus. Andere hätten vielleicht gesagt: Das war ein Engel. Andere hätten vielleicht gesagt: Das war ein weiser Mann. Menschen haben unterschiedliche Begriffe, um etwas zu umschreiben, was außergewöhnlich ist, ganz anders als das Bekannte. Letztlich geht es nicht um den „richtigen“ Begriff. Es geht um die Erfahrung, dass Gott uns begegnet, hier auf unserer Erde.  

 

Vor mehr als 2000 Jahren ist Jesus geboren. Er war Gott in Menschengestalt. Das feiern wir an Weihnachten. Auch heute kann uns Gott in Menschengestalt begegnen. Gott findet seine Wege zu uns. Auch jetzt mitten in diesen schwierigen Zeiten.

 

Mein Vorschlag für heute: Unterbrechen Sie sich selbst. Gehen Sie eine Weile nach draußen, so lange wie möglich. Achten Sie auf das, was Ihnen begegnet. Suchen Sie den Frieden. Stärken Sie das Gute. 

 

Ich wünsche Ihnen allen und Euch allen einen guten Tag.

Gabriele Koenigs 

 

 

 


Hier kommt ein schönes Adventslied mit Text und Klavierbegleitung zum Mitsingen. "Seht, die gute Zeit ist nah. Gott kommt auf die Erde...."