
Ingrid hat das Schreiben wiederentdeckt. Mit Wonne schreibt sie Briefe an liebe Menschen in der Nähe und in der Ferne. Sie schreibt zu Geburtstagen und Hochzeitsjubiläen, zur Geburt eines neuen Erdenbürgers, zum Abschluss der Ausbildung und wenn jemand gestorben ist. Sie ruft sich die Menschen vor Augen, denen sie schreibt. Sie fragt sich, welche Worte ihm oder ihr jetzt gut tun könnten. Sie denkt sehr gründlich über die Formulierungen nach. Erst schreibt sie ein Konzept. Wenn sie damit zufrieden ist, schreibt sie den Brief in Reinschrift auf ein Briefpapier. Sie faltet ihn zusammen und legt ihn in eine schöne Karte. Es ist ihr bewusst, wie kostbar solch ein Brief ist. Ihre ganze Liebe und Sorgfalt legt sie dort hinein.
Sie wird bald 90 Jahre alt. Ihr Leben war immer ausgefüllt. Sie hat Kinder und Enkel versorgt und einen großen Haushalt mit Garten geführt. Sie hat Brot im Backhaus gebacken, Obst geerntet und für den Winter eingemacht. Zusammen mit ihrem Mann war sie ehrenamtlich beim Naturschutzbund tätig. Die Tage vergingen wie im Nu. Ab und zu hat sie einen Kurs bei der Volkshochschule belegt, um ihren Horizont zu erweitern und den Geist frisch zu halten. Sie hat eine kreative Ader. Zusammen mit ihren Kindern hat sie getöpfert und emailliert und gebatikt. Mit der Tatkraft des mittleren Alters hat sie eine riesengroße Fülle von Aufgaben bewältigt. Nun, im hohen Alter, geht alles viel langsamer. Sie hört schlecht. Manchmal bekommt sie nur schwer Luft. Sie muss immer wieder eine Pause machen. Sie ist im Frieden damit. Sie ist froh, dass sie nichts mehr im Garten machen muss. Ihr Mann und ihre Tochter haben das übernommen. Kinder und Enkel sind ausgeflogen. Sie kocht nur noch für sich selbst und für ihren Mann. Der Haushalt ist überschaubar geworden. Die Ämter im Naturschutzbund haben sie in jüngere Hände gelegt. Nun hat sie Zeit. Sie weiß, welch ein Luxus das ist. Und sie hat sich selbst einen guten Rhythmus für ihre Tage gegeben.
Morgens macht sie nach dem Frühstück zuerst einen Morgenspaziergang. In ihrem Ort gibt es einen schön angelegten Laubengang vor der Kirche. Im Sommer blüht dort eine Fülle von Rosen. Es ist eine Wonne, durch die Rosenbögen zu wandeln. 70 Schritte braucht sie vom Anfang bis zum Ende. Sie hat sich vorgenommen, 11 mal hin und her zu gehen. Das ist ihr tägliches Training. Sie weiß, wie wichtig es ist, beweglich zu bleiben. Darum dreht sie ihre Runde täglich, selbst wenn es regnet. Sie braucht eine gute halbe Stunde dafür. Unterwegs kommt sie auf die besten Gedanken. Oft fliegt ihr ein Gedanke zu, den sie dann später in ihren Brief einflechten kann. Sie freut sich am Glockenschlag der Kirche, am Vogelgesang und an den Eidechsen und an unverhofften Begegnungen. Jeder Tag hat seinen Zauber. Nicht nur, wenn die Rosen blühen.
Nachmittags kommt eine Freundin zu Besuch. Sie kennen sich seit der Jugendzeit. Als sie beide 17 Jahre alt waren, sind sie für ein Jahr nach England gegangen. Sie haben als Aupair-Mädchen gearbeitet. Es war eine interessante und anstrengende Zeit für Ingrid. Sie musste ein Kleinkind hüten und putzen, kochen und Wäsche versorgen. Ingrid wurde gehalten wie eine Magd. Die Familie aß im Esszimmer. Ingrid musste bedienen. Anschließend aß sie in der Küche, alleine. Während ihres Aufenthalts bei dieser Familie wurde dort das zweite Kind geboren. Sie musste dann auch das Baby versorgen. Welch eine große Verantwortung für ein junges Mädchen, und welch eine Fülle von Aufgaben! Ein Glück, dass ihre Freundin im selben Ort eine Stelle hatte! Sonntagnachmittags hatten sie beide frei und konnten sich treffen und Ausflüge miteinander machen. Diese Zeit in England hat sie sehr verbunden. Später, als sie selbst ihre Familien gründeten, haben sie sich aus den Augen verloren. Aber nun, im Alter, ist ihre Freundin von früher wieder in den Heimatort zurückgezogen. Sie wohnt nur ein paar Häuser von Ingrid entfernt. Nun treffen sie sich jeden Tag für ein Kaffeestündchen und zum Erzählen.
Damals in England war Ingrid frisch verliebt. Werner war ein junger Mann aus ihrem Heimatort. Natürlich hatte sie in England großes Heimweh nach ihm. Er fehlte ihr so sehr. Darum schrieb sie ihm jeden Tag einen Brief. Er schrieb ihr auch jeden Tag. Sie erzählten einander von ihrem Leben und von ihren Gefühlen und Gedanken. Sie versicherten einander, wie sehr sie sich liebten. Nur ein einziges Mal konnten sie miteinander telefonieren. Telefonieren über die Landesgrenzen hinweg war beinahe unbezahlbar. So legten sie alles in die Briefe. Briefmarken konnten sie sich leisten. Sie freuten sich jeden Tag auf die Worte des geliebten Menschen. Als Ingrid wieder in die Heimat zurückkam, heirateten sie bald. Es war sonnenklar, dass ihre Liebe stark war und treu. Und tatsächlich hat sie ein ganzes Leben lang gehalten. Die beiden sind sehr dankbar dafür, dass sie zusammen alt geworden sind und immer noch beieinander sein dürfen. Wie kostbar ist das!
Die Liebesbriefe von damals hat Ingrid aufgehoben, wie einen großen Schatz. Vor einer Weile hat sie sie nochmals gelesen. Es hat sie sehr gerührt, diese Worte des jungen Mannes nochmals zu lesen.
Wie wird es den Menschen gehen, die nun heute ihre sorgsam gestalteten Briefe bekommen? Ab und zu ruft jemand an und bedankt sich für den Brief. "Ich habe mich so sehr über deine Glückwünsche gefreut. Vielen, vielen Dank! Und die Karte hebe ich mir auch auf! Sie gefällt mir so sehr!"
Ingrids Tochter war in meiner Ausstellung in Schwaigern und hat dort einige Kunstpostkarten von mir gekauft. Das war ihr Mitbringsel für ihre Mutter, die nicht in die Ausstellung mitkommen konnte. Ingrid hat sich sehr über dieses Geschenk gefreut. Sie hat schon alle Karten in die Welt geschickt, zusammen mit ihren sorgsam gestalteten Briefen. Und nun hat sie mit Hilfe ihrer Tochter Nachschub bei mir bestellt. Auch diese Karten werden bald auf die Reise gehen.
Ich weiß, dass Originalbilder für die meisten Leute unerschwinglich sind. Aber Karten kann sich jede/r leisten. Darum habe ich so ein großes Sortiment drucken lassen, und ich erweitere es jedes Jahr um ein paar neue Motive. Jede Karte ist da, um Freude zu bereiten, zu inspirieren oder zu trösten. Zusammen mit sorgsam gewählten Worten wird die Wirkung umso stärker. So wird eine Karte zum kostbaren Geschenk. Ein Geschenk muss nicht viel Geld kosten, um kostbar zu sein. Die Liebe, die darinnen steckt, macht es kostbar.
Alles Liebe und Gute für Sie und für Euch!
Gabriele Koenigs
Hier kommt das Morgenlied "Morgenlicht leuchtet", die deutsche Übersetzung des Lieds "morning has broken" von Cat Stevens. Sie sehen den Text zum Mitlesen und Sie hören die Klavierbegleitung. So können Sie ganz leicht mitsingen. Viel Freude dabei!
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Hier können Sie eine Montage aus guten, ermutigenden Botschaften hören, zusammengestellt von Michael Stillwater, und mit Musik unterlegt. So etwas Wohltuendes und Wahres! Der erste und der letzte Sprecher ist Desmond Tutu.
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