Das Feuer nähren

Feurige Kraft. Ölgemälde auf Leinwand von Gabriele Koenigs (2025). 100 cm x 100 cm. Als Original erhältlich
Feurige Kraft. Ölgemälde auf Leinwand von Gabriele Koenigs (2025). 100 cm x 100 cm. Als Original erhältlich

 

Elisabeth sitzt am Frühstückstisch. Mal wieder alleine. Werner ist schon Rentner. Er braucht nicht so früh aufstehen wie sie. Mehr oder weniger vertrödelt er seinen Tag. Sie arbeitet noch. In einem Wohnheim für Menschen mit psychischen Einschränkungen ist sie Betreuerin in einer Wohngruppe. Sie tut das sehr gerne. Auch sie merkt, dass sie älter wird. Die Arbeit strengt sie zunehmend an. Wie gerne würde sie sich abends an einen gedeckten Tisch setzen! Wie gerne hätte sie es, dass Werner nun einen Großteil der Hausarbeit übernimmt! Aber dazu ist er nicht bereit. Er hat das noch nie gemacht. Manchmal ist sie ärgerlich auf ihn. Manchmal tut er ihr leid. Es geht ihm nicht gut, das merkt sie deutlich. Die Kollegen fehlen ihm, und seine Aufgaben in der Firma. Dazu kommen die ersten körperlichen Einschränkungen. Er braucht jetzt ein Hörgerät. Er hat oft Rückenschmerzen. Ihm fehlt Bewegung. Er nimmt zu. Es tut ihm nicht gut, dass er so wenig aus dem Haus geht. Ihm fehlen die Anregungen. Er zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. Es ist schwierig, ein Gesprächsthema mit ihm zu finden. Manchmal können sie stundenlang beieinander sitzen und kaum ein Wort miteinander wechseln. Die Langeweile ist ihr ständiger Gast.

 

Früher war es anders. Als ihre vier Kinder klein waren, war viel Leben im Haus. Lachen, Weinen, Streit, Diskussionen, Zärtlichkeit: Manchmal fast zu viel auf einmal. Es war oft turbulent. Aber es war eine schöne Zeit. Gerne denkt Elisabeth daran zurück. Damals hatten sie immer etwas zu bereden, zu planen und zu entscheiden. Die Kinder haben ständig Ideen und Vorschläge mitgebracht. Und sie hatten Kontakt mit anderen Eltern. Das Leben war anstrengend, aber interessant. Das Geld war knapp. Oft mussten sie etwas improvisieren. Aber Elisabeth ist Meisterin darin, aus Wenigem etwas zu machen. Sie ist erfinderisch, bis heute. Aber nun ist sie sehr traurig. Manchmal wünscht sie sich, sie könnte anderswo nochmals neu anfangen, mit einem anderen Mann. Oder notfalls auch alleine. Sie fürchtet sich vor dem Moment, wenn sie auch in Rente kommt.

 

Kurz bevor sie aus dem Haus geht, schaut sie nochmals in das Schlafzimmer. Werner schläft immer noch. Sie will ihn nicht wecken. Grußlos geht sie aus dem Haus.

 

Bei der Arbeit ist es anders, zum Glück. Sie muss alle möglichen Probleme lösen, zuhören, trösten, motivieren. Bei der Arbeit vergisst sie ihren Mann.

 

Heute abend ist ein Eheseminar in ihrer Gemeinde. Mit Herzklopfen hat sie sich dafür angemeldet. Der Referent ist nicht aus ihrer Gemeinde. Er war ihr unbekannt. Aber es eilte ihm ein guter Ruf voraus. Sie hatte ihrem Mann vorgeschlagen mitzugehen. Aber er wollte nicht. So ist sie alleine hingegangen. Zum Glück war sie nicht die Einzige, der es so gegangen ist. Und es hatte einen Vorteil: Sie konnte unbefangen reden. Der erste Abend bestand hauptsächlich aus Vortrag und einem Gespräch im Plenum und in kleinen Gruppen. Aber heute abend gibt es Zeit für persönliche Gespräche mit dem Referenten. Elisabeth ist aufgeregt. Wird ihr das helfen?

 

Als Elisabeth an der Reihe ist, schildert sie dem Referenten kurz ihr Problem. Er sagt: „ich sehe eine große Liebe in dir. Liebe wie ein Feuer. Aber es ist beinahe erloschen. Nur noch die Glutnester sind da. Das Feuer kann wieder zum Leuchten kommen, wenn ihr es nährt. Das ist eure gemeinsame Aufgabe. Werft Holz auf das Feuer. Mach dir keine Sorgen. Gott wird das Feuer wieder entfachen. Eure Aufgabe ist es nur, Holz darauf zu werfen.“

 

Das Bild leuchtet ihr ein. Sie bedankt sich sehr. Mit Herzklopfen geht sie nach Hause. Der erste Schritt wird der Schwerste sein. Sie muss unbedingt mit Werner sprechen. Zum Glück ist er noch auf, als sie kommt.

„Ich muss dir etwas erzählen“, sagt sie. „Der Referent heute hat etwas sehr Gutes zu mir gesagt. Er sagt, dass Liebe wie ein Feuer ist. Das Feuer braucht Nahrung. Es kann sein, dass es schon beinahe ausgegangen ist. Aber wenn man wieder Holz draufwirft, kann es wieder hell leuchten. Ich möchte so gerne, dass es wieder schön wird bei uns und dass unsere Liebe zum Leuchten kommt. Heute Abend habe ich Hoffnung geschöpft, dass es gehen kann, mit Gottes Hilfe.“ Werner hört ihr zu, ganz aufmerksam. Als sie fertig ist, legt er seine Hand auf ihre und sagt: „Ich wünsche mir das auch. Wir versuchen das!“

 

Es dauert lange, bis Elisabeth in den Schlaf findet. Alle möglichen Ideen und Gedanken gehen ihr durch den Kopf. Am nächsten Tag kauft sie auf dem Heimweg von der Arbeit ein besonderes Stück Fleisch. Etwas, das es eigentlich nur an Festtagen gibt. Sie bereitet ein köstliches Mahl für sich und ihren Mann. Zur Feier des Tages stellt sie sogar eine Kerze auf den Tisch. Werner bedankt sich bei ihr. Und er erzählt ihr beim Essen von einem interessanten Film, den er heute angeschaut hat.

 

Ein paar Tage später empfängt er sie zuhause mit einem Blumenstrauß. „Es ist schon viel zu lange her, dass ich dir Blumen gebracht habe“, sagt er. „Heute sollst du mal wieder welche bekommen!“ Sie strahlt. Sie erzählen einander von den Gelegenheiten, als es Blumen gab. Nach der Geburt der Kinder zum Beispiel. Sie schauen Fotoalben miteinander an. Die Blumen stehen in der schönsten Vase auf dem Tisch. Es wird spät, bis sie zu Bett gehen. So viel haben sie schon lange nicht mehr miteinander gesprochen.

 

Die Geschichte geht weiter. Sie ist noch nicht zu Ende. Gott sei Dank. Elisabeth und Werner haben Hoffnung geschöpft. Beide tun sie nun etwas dafür, das Feuer der Liebe zu nähren. Sie überlegen sich Überraschungen füreinander. Manchmal gibt es zärtliche Gesten, ganz vorsichtig. Und ein Nachfragen: „Wie ist es dir heute gegangen?“ Einmal hat Elisabeth ihren Mann ins Kino ausgeführt. Und er betrachtet es jetzt als seine Aufgabe, den Abwasch in der Küche zu machen und die Böden mit dem Staubsauger sauber zu halten. Das Interesse an einander ist neu aufgelebt. Jeden Tag dankt Elisabeth dafür.

 

Das Feuer der Liebe wärmt ihr Herz, und es leuchtet aus ihr. Nun haben es sogar schon ein paar von ihren Bekannten bemerkt. „Du bist so verändert. Was ist geschehen?“ Wenn sie Vertrauen zu der Person hat und Mut, dann erzählt sie ein bisschen davon.

 

Ich freue mich so an dieser Geschichte, dass ich sie Ihnen und Euch heute weitererzählen möchte. Und ich wünsche den beiden, dass das Feuer der Liebe in ihnen niemals erlischt. Dasselbe wünsche ich Ihnen und Euch allen und auch mir selbst. 

 

Herzliche Grüße! 

Gabriele Koenigs

 

 

 

 

 


Hier können Sie eine Komposition des zeitgenössischen Komponisten Ola Gijeilo hören. Er hat die lateinischen Worte aus der Messliturgie in Töne gesetzt: 

Ubi caritas et amor, Deus ibi est: Wo Liebe ist und Erbarmen, da ist Gott... 

 

Genießen Sie das! 

 

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