Annas Rosenknospe

Einfach zum Staunen. Aquarell von Gabriele Koenigs (2025). Im Passepartout für Bilderrahmengröße 60 cm x 50 cm. Als Original erhältlich
Einfach zum Staunen. Aquarell von Gabriele Koenigs (2025). Im Passepartout für Bilderrahmengröße 60 cm x 50 cm. Als Original erhältlich

 

Anna hat aus ihrem Garten eine Rosenknospe mitgebracht. Die Knospe stammt von einer Edelrose. Man sieht ihr noch nicht an, was aus ihr werden wird. Sie wirkt relativ unscheinbar. Aber Anna kennt ihre Rose. Sie kann sich schon vorstellen, wie schön die Knospe aussehen wird, wenn sie sich entfaltet.

 

Ich habe einen ganzen Rosenstrauß aus meinem Garten mitgebracht. Es sind die letzten Rosen, die ich noch finden konnte. Es gibt Knospen und voll entfaltete Blüten und abgeblühte Rosen und viele Blätter. Ich habe weiße feine Herbstastern dazu gesteckt, um dem Strauß eine Duftigkeit zu verleihen. Anna steckt ihre Rosenknospe mitten in meinen Strauß. Nun steht der Strauß in einer Vase auf dem Boden in der Mitte unseres Kursraums und zieht unsere Blicke immer wieder auf sich.

 

Wir sind zusammengekommen, um Rosen zu malen. Sieben Teilnehmerinnen und ich als Kursleiterin. Wir genießen die gemeinsame kreative Zeit. Und wir schauen immer wieder auf den Strauß in unserer Mitte. Fasziniert sehen wir, wie die Knospe der Edelrose sich entfaltet. Die Blüte ist atemberaubend schön, porzellanfarben und makellos. Jeden Tag öffnet sie sich ein wenig mehr. Und je nach Sonnenstand fällt das Licht anders darauf. Immer wieder sehen wir sie neu. Auch die anderen Knospen und Blüten in der Vase verändern sich. Die unscheinbaren kleinen Knospen meiner Strauchrose strecken ihre Kelchblätter dem Licht entgegen. Eine rosa Knospe öffnet sich zur Blüte. Erstaunlicherweise ist sie innen nicht rosa, sondern weiß. Die verblühte Rose lässt ein Blatt fallen. Alles ist in Bewegung, und es geht still und leise vor sich. Kaum wahrnehmbar, wenn man nicht genau hinschaut.

 

Je länger wir hinschauen, und je genauer wir schauen, umso mehr staunen wir. Wir weisen einander hin auf das, was wir sehen. Wir freuen uns an der Schönheit der Rosen. Was sind das für Wunderwerke!

 

Ute erinnert sich an einen Vers, der in ihrem Poesiealbum stand. Sie kann ihn bis heute auswendig sagen. Darin werden die Rosen völlig abgewertet:

„Sei wie das Veilchen im Moose

Sittsam, bescheiden und rein

Und nicht wie die stolze Rose,

die immer bewundert will sein.“

 

Mit solchen Versen wurden Mädchen früher dazu angehalten, sich zurückzuhalten. Nur nicht auffallen! Nur nicht vorlaut sein! Nur nicht seine Bedürfnisse anmelden, sondern sich unterordnen und sich verleugnen. Das wurde früher von Frauen erwartet. Dies hat sich in unserer westlichen Gesellschaft weithin verändert. In manchen Kulturen – z.B. in Afghanistan - werden Frauen immer noch gezwungen, sich unterzuordnen und beinahe unsichtbar zu sein. Wir wollen das nicht mehr. Aber den Älteren unter uns steckt diese Erziehung immer noch in den Knochen. Mehr, als es uns gemeinhin bewusst ist. Und das führt dazu, dass viele von uns eine tiefe Scheu davor haben, selbstbewusst aufzutreten und unser Licht leuchten zu lassen und das zu entfalten, was in uns steckt.

 

Es ist eine Verleumdung der Rose, wenn man behauptet, dass sie nur bewundert sein will. Und es ist eine Verleumdung der Menschen, die ihre Fähigkeiten voll entfalten, wenn man behauptet, dass sie es nur aus Angeberei tun. Die Bestimmung der Knospe ist es, aufzublühen und sich zu entfalten. Wie schade wäre es, wenn sie darauf verzichten würde! Und wie schade ist es, wenn Menschen aus Bescheidenheit oder Furcht darauf verzichten, das zu entfalten, was in ihnen liegt. Wie schade, wenn sie ihr Licht „unter den Scheffel stellen“. Jesus hat gesagt: „Lasst euer Licht leuchten! Man zündet nicht ein Licht an und stellt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Matthäus 5, 14 – 16)

 

Im Kurs freuen wir uns an den schönen Werken, die im Entstehen sind. Wir feuern einander an, indem wir in den Bildern der anderen hervorheben, was darin gut gelungen ist. Und wir öffnen uns dafür, auch zu hören, was den anderen in unserem Bild gefällt. Manchen fällt es schwer, ein Lob anzunehmen. Sie können nicht so wirklich glauben, dass sie etwas gut gemacht haben. Sie müssen es öfter hören, bis sie es glauben können. Ein ehrliches Lob tut allen gut. Lob motiviert. Ein Lob macht uns bewusst, dass wir wirklich etwas können. Wir wollen über uns hinauswachsen. Wir wollen entfalten, was in uns liegt. Es ist wunderschön, dies in Gemeinschaft zu tun.

 

Jeden Morgen haben wir einen Vers des Mystikers Gerhard Tersteegen bedacht und gesungen:

„Du durchdringest alles.

Lass dein zartes Lichte

Herr, berühren mein Gesichte.

Wie die zarten Blumen

willig sich entfalten

und der Sonne stille halten

Lass mich so

still und froh

Deine Strahlen fassen

und dich wirken lassen.“

 

Gottes Wirken ist wunderbar. Gott wirkt ganz in der Stille, im Verborgenen. Und auch dort, wo Menschen in Liebe einander begegnen, einander weiterhelfen und miteinander lernen. Ich bin zutiefst dankbar dafür. Die anderen Mitglieder unserer Gruppe sind es auch. Wir werden diesen Kurs nicht vergessen. Wenn wir die gerahmten Bilder vor unseren Augen haben, erinnern wir uns an das viele Gute, das wir gesagt und gehört, erlebt und bedacht haben.

 

Alles Liebe und Gute für Sie und für Euch!

 

Gabriele Koenigs 


Hier improvisieren zwei Musiker über die schönen Verse von Gerhard Tersteegen. Sein Lied ist im Jahr 1729 entstanden und trägt den Titel:  "Gott ist gegenwärtig". Es hat 8 Strophen. Wenn Sie mögen, suchen Sie den Text in einem Gesangbuch heraus.  

 

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Und hier kommt ein Video mit einer schönen ruhig gespielten Pianobegleitung für das Lied. Der Text von 2 Strophen wird eingeblendet, so dass Sie ganz leicht mitsingen können. Viel Freude dabei! 


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Kommentare: 1
  • #1

    Gudrun (Sonntag, 12 Oktober 2025 08:06)

    Meine Nachbarin Alma hat genau so eine Duftrose und diese ist wunderschön wie diese auf deinem Bild, liebe Gabriele!! Ein ganz schöner Text für uns zu bedenken, wo wir uns noch entfalten könnten in JESU „Belichtung“.