Ein heiteres Herz

Mein Herz lacht. Aquarellportrait von Gabriele Koenigs (2015). Unverkäuflich
Mein Herz lacht. Aquarellportrait von Gabriele Koenigs (2015). Unverkäuflich

Diese alte Frau ist vor ein paar Tagen gestorben. Ich mochte sie sehr. Aber ich konnte nicht zu ihrer Beerdigung gehen. Beerdigungen können im Moment nur im engsten Kreis stattfinden. Das ist etwas sehr Seltsames. 

 

Früher war es in den Dörfern üblich, dass mindestens eine Person aus jedem Haushalt mitging, wenn jemand beerdigt wurde. Alle nahmen Anteil, wenn jemand aus ihrer Mitte verstarb. Man hatte ein Leben miteinander gelebt, in guten und in schweren Zeiten. Man hatte einander geholfen und miteinander gestritten. Man hatte Feste miteinander gefeiert und die Stürme miteinander ertragen. Da war es ja nur recht und billig, auch auf dem "letzten Gang" ein paar Schritte mitzugehen. 

 

Diese alte Sitte ist heute weitgehend verloren. Es gehen nur noch die zur Beerdigung mit, denen dieser verstorbene Mensch etwas bedeutet hat. Wenn viele mitgehen, ist das für die Angehörigen ein Zeichen. Es zeigt ihnen nochmals, wieviel dieser Mensch anderen bedeutet hat und in wie vielen Beziehungen er oder sie gelebt hat. Es zeigt ihnen auch, dass sie beachtet werden in ihrer Trauer. Es ist ein Zeichen ohne viele Worte. Oft drücken wir unsere Anteilnahme am Grab einfach so aus, dass wir die Trauernden in den Arm nehmen oder ihnen einen Händedruck geben. Was soll man viel sagen? Ganz, ganz wenige Worte passen hier. 

 

Nun können wir nicht mitgehen. Nun sind wir nur von Ferne dabei. Wir denken an die Trauernden und an die Verstorbene. Wir beten für sie. Viele Erinnerungen steigen auf. 

 

Ich erinnere mich an die besondere Heiterkeit dieser Frau. Marianne hat ein Leben mit vielen Entbehrungen geführt. Sie wuchs in einem Schwarzwalddorf auf, in ärmlichen Verhältnissen. Die Familie hatte ein paar Tiere und ein paar Äcker. Sie verdiente ihr Brot als Waldarbeiterin, ihr Mann war Schreiner. Sie zog 4 Söhne groß. Und sie liebte die Musik, von Kind auf. Und sie war mit der Kirche verbunden, von Kind auf. Sie wuchs bei den Großeltern auf. Diese waren Mesner in der kleinen Dorfkirche. Sie sorgten für die Kirche und das Grundstück drum herum. Sie läuteten mehrmals am Tag die Glocken. Sie schmückten den Altar, putzten und heizten die Kirche und richteten alles für die Gottesdienste. Sie hat immer dabei geholfen. Und als sie größer wurde, lernte sie Klavier spielen und sogar Orgel spielen und dirigieren. Für den Orgelunterricht musste sie weite Wege auf sich nehmen. 25 km hin und 25 km zurück, alles mit dem Fahrrad, bergauf und bergab. Das war es ihr wert. Viele Jahre hat sie den Kirchenchor dirigiert. Sogar in einem der Nachbardörfer hatte sie einen Chor. Aus der Kirchenmusik bezog sie einen großen Teil ihrer Kraft. Noch im hohen Alter setzte sie sich zuhause an ihr Klavier und spielte Choräle, einfach so, einfach für sich selbst. Wenn Besucher kamen, lud sie sie zum Mitsingen ein. Die Musik tröstete sie und heiterte sie auf. Und sie nahm an den Gottesdiensten teil. Sie war eine aufmerksame Predigthörerin, eine kritische und eine dankbare dazu. Oft hat sie meinem Mann und mir eine kleine Rückmeldung auf die Predigten gegeben. Das hat uns gut getan. Als sie sehr schwerhörig wurde und nur noch einen Bruchteil der Predigten verstehen konnte, bat sie um das Manuskript. Das haben wir ihr natürlich immer gerne gegeben. 

 

Sie hatte ein strahlendes Lächeln. Es war kein bisschen aufgesetzt. Es kam ganz von innen, aus ihrem heiteren und getrösteten Herz. Es war echt. Es fiel ihr nicht so leicht, Worte zu finden. Je älter sie wurde, desto schwieriger wurde das. Eine leichte Verwirrtheit kam dazu, so wie das öfter bei alten Menschen ist. Aber ihr gutes, heiteres Lächeln blieb.

 

Marianne ist nun heimgerufen worden. Sie ist vom Himmel gekommen und war auf dieser Erde zu Gast. Es war ein langes Leben. Es war nicht leicht. Aber es war voller Segen. Sie ist innerlich in Verbindung geblieben mit der Heimat, aus der sie gekommen ist. Nun darf sie wieder dorthin, Gott sei Dank. Zusammen mit allen Erlösten wird sie ihre Stimme erklingen lassen. Ihre Zunge wird jubeln in nie gekannten Tönen. Wir gönnen ihr das. Und wir sind dankbar, ihr hier begegnet zu sein, in unserer gemeinsamen Zeit hier. 

 

Wir sind alle auf dieser Erde nur zu Gast. Jedes von uns wird eines Tages gerufen. Das kommt uns nun viel deutlicher zu Bewusstsein als je zuvor. Der Tod lässt sich nicht mehr aus dem Bewusstsein verdrängen. Viele Menschen wollten vom Tod gar nichts wissen. Es war ihnen zu schrecklich, daran zu denken. Für Gläubige wie Marianne ist schon immer anders gewesen. 

In einem alten Kirchenlied heißt es:

"Freude die Fülle und selige Stille

hab ich zu warten 

im himmlischen Garten.

Dorthin sind meine Gedanken gericht." 

(aus dem Lied: Die güldene Sonne...)

 

Ich wünsche Ihnen allen und Euch allen einen guten Tag. 

Gabriele Koenigs 

Hier gibt es ein Stück von dem Lied "Die güldne Sonne..." zum Anhören und Mitsingen.