Blütenwunder

Blütenwunder. Aquarell von Gabriele Koenigs (2017). Privatbesitz
Blütenwunder. Aquarell von Gabriele Koenigs (2017). Privatbesitz

Die Obstbäume stehen bei uns jetzt in voller Blüte. Kirschbäume und Birnbäume tragen ihr weißes Kleid. Und die Apfelbäume kommen nun auch dazu. Das ist einfach ein Gedicht. Ein Fest für das Auge. 

 

Letztes Jahr gab es in unserer Gegend nicht so viel Obst. Dieses Jahr sieht es sehr verheißungsvoll aus. Meine Schwägerin hat viele Obstbäume. Sie weiß, dass die Jahre unterschiedlich sind. In einem Jahr tragen die Bäume weniger, dann wieder mehr. Sie könnten das nicht aushalten, sich jedes Jahr so zu verausgaben. 

 

Wir Menschen würden am liebsten immer Hochleistung bringen. Oder am besten: Die Leistung ständig steigern. Das fühlt sich nach Erfolg an. Eigentlich wissen wir alle, dass das nicht so funktioniert. Krankheitszeiten verschaffen uns die notwendigen Pausen, die wir uns selbst zu wenig gegönnt haben. Plötzlich werden wir zum Ausruhen gezwungen. Plötzlich werden wir auch zum Nachdenken gezwungen.

 

Das Seltsame an der augenblicklichen Situation ist, dass auch diejenigen, die sich gesund fühlen, gar nicht wissen, ob sie den neuen Virus in sich tragen. Jeder muss vorsichtig sein, um nicht andere aus Versehen anzustecken. Jeder muss sich zurückhalten. Es ist, wie wenn die Menschen in den Winterschlaf versetzt sind. Dabei ist doch Frühling. Wir wollen unsere Kräfte einsetzen. Wir wollen nach draußen. Wir wollen einander begegnen. Wir wollen etwas zusammen unternehmen. Wir wollen auch wieder ausgelassen sein. Wir wollen nicht dauernd an Krankheit und Tod denken. Am liebsten hätten wir, dass alles wieder ganz normal läuft. Die Entscheidungen der Verantwortlichen werden jetzt mit Ungeduld erwartet. Es wird Zeit, dass der Winterschlaf endet. 

 

Letztes Jahr ist ein großer Teil der Baumblüte erfroren. Die meisten Obstbäume haben keine Frucht getragen. Aber sie haben sich nicht aufgegeben. Sie haben das Leben aufrecht erhalten. Tag für Tag sind sie geblieben, tapfer und treu. Und nun blühen sie wieder.

 

Solche Tapferkeit und Treue ist nun auch von uns gefragt. Es wird ein mageres Jahr werden, selbst wenn die Beschränkungen bald gelockert werden. Wir werden auf viele Pläne verzichten müssen. Wir werden kaum Urlaubsreisen unternehmen können. Wahrscheinlich werden wir auch weniger Geld zur Verfügung haben. Und dennoch: Es ist Leben. Jeder Tag ist ein Geschenk. Wir werden dies viel bewusster wahrnehmen als jemals zuvor. Und wir werden nachdenklicher miteinander umgehen, respektvoller und vorsichtiger als zuvor. Wir werden vieles neu organisieren und neu bewerten. Das Nachdenken ist noch lange nicht zu Ende. 

 

Und die Freude wird neu erwachen. Möge Gott uns dazu helfen. 

 

Ich wünsche Ihnen allen und Euch allen einen guten Tag.

Gabriele Koenigs 

 

 

 

 


Freunde, dass der Mandelzweig

wieder blüht und treibt.

Ist das nicht ein Fingerzeig, 

dass das Leben bleibt.

 

Dass das Leben nicht verging,

soviel Blut auch schreit.

Achtet dieses nicht gering

in der trübsten Zeit. 

 

Tausende zerstampft der Krieg,

eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg

leicht im Winde weht. 

 

Freunde, dass der Mandelzweig

sich in Blüten wiegt

bleibe uns ein Fingerzeig,

wie das Leben siegt.

 

(Schalom Ben  Chorin 1942)