Ein erstaunlicher Satz

Dem Himmel so nah (Kirche in Aichelberg). Gemälde von Gabriele Koenigs. Privatbesitz
Dem Himmel so nah (Kirche in Aichelberg). Gemälde von Gabriele Koenigs. Privatbesitz

Als ich gestern morgen erwachte, war ein erstaunlicher Satz in mir. "Gott ist Künstler". Kann das sein? Wie ist das zu verstehen? Ich nahm den Satz mit durch meinen Tag. 

 

Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich mich jemandem  als Künstlerin vorstellte. Er fragte zurück: "Welche Sorte Künstlerin? Schauspielerin? Malerin? Musikerin? Tänzerin? Schriftstellerin? " Wir Künstler sind spezialisiert. Wir erschaffen etwas durch Töne, Farben, Bewegung, Worte. Gott ist größer. Gott ist nicht spezialisiert. Gott erschafft das Leben insgesamt. 

 

Ich vollendete einen wichtigen Portraitauftrag. An diesem Portrait habe ich sehr viele Stunden gearbeitet. Ich habe meine ganze Liebe und Sorgfalt hineingesetzt. Immer wieder gab es etwas nachzubessern und zu verfeinern. Aber dann gab es nichts mehr, das mein Auge störte. Ich hatte eine unbändige Freude und Befriedigung in mir. Am liebsten hätte ich meiner Auftraggeberin sofort ihr Bild gezeigt. Leider wohnt sie nicht so nahe, dass ich es ihr hätte bringen können. Ich schrieb ihr wenigstens ein Email: "Ihr Bild ist fertig!" 

Ich stelle mir Gottes Freude an der Schöpfung vor. Es ist alles gut geworden. Blumen, Bäume, Tiere, Wasser und der Mensch. Für alles ist gesorgt. Alles ist gut. Nichts fehlt. An alles ist gedacht. Gottes Schöpferfreude muss überwältigend sein. 

 

Meine Bilder gehören immer zu mir, selbst wenn sie inzwischen woanders hängen. Es gibt eine tiefe Verbindung der Künstler mit ihrem Werk. Er hat etwas von sich selbst hineingegeben. Sie hat etwas von sich selbst hineingegeben. So bleibt auch Gott verbunden mit allem, was geschaffen ist. Es ist ihm nicht egal, was daraus wird. Gott hat sich selbst in die Schöpfung hineingegeben. Die Schöpfung liegt ihm am Herzen. 

 

Am schönsten ist die Schöpferfreude, wenn ein Echo zurückkommt. "Danke, danke, danke!" "Du hast das so schön gemacht!" "Jeden Tag freuen wir uns an diesem Gemälde!" 

 

Am Erntedankfest geben wir unser Echo auf Gottes Werk. "Danke, danke, danke!" "Du sorgst so gut für uns! Danke für das Brot und den Wein, danke für Gemüse und Obst, für Wasser und Sonne und Wind!" Gott hat dieses Echo wahrlich verdient. Es ist ja wirklich für alles gesorgt. Selbst in diesem schwierigen Jahr hatten wir immer genug. 

 

Die Erntedankgottesdienste sind dieses Jahr anders als gewohnt. Keine Erntetänze der Kinder aus den Kindergärten. Kein Posaunenchor. Keine Festumzüge. Kein landwirtschaftliches Hauptfest auf dem Canstatter Wasen. Nur wenige kommen zu den Gottesdiensten. Sie singen mit Maske vor dem Mund. Die Freude ist gedämpft. Und dennoch: Der Schöpfer von allem hat den Dank verdient. Darum fallen die Gottesdienste nicht aus. Und manche singen zuhause, ohne Maske vor dem Mund. Und manche nehmen ihr Instrument und blasen einen Choral. Und manche nehmen ein Stück Brot, ganz bewusst. Sie schlingen es nicht herunter, sondern essen voller Dankbarkeit und Genuss. Und sie bringen ihr Dankgebet dar. Der Dank braucht seinen Ausdruck, trotz allem. Halten wir ihn nicht zurück. 

 

Gott kommt uns nahe, auch in schwierigen Zeiten. Manchmal schenkt er uns ungewöhnliche Sätze und ungewöhnliche Erkenntnisse. Erkenntnisse sind wichtig wie das tägliche Brot. Auch dafür bringe ich meinen Dank. 

 

Ich wünsche Ihnen allen und Euch allen einen schönen Erntedanksonntag und eine gute Woche

 

Gabriele Koenigs 

 

 

 

 


Hier singt eine junge Frau ein uraltes Lied. Es stammt von Matthias Claudius. Es ist für mich das schönste Erntedanklied. Viel Freude beim Anhören und Mitsingen!