Heiligabend zuhause

 

 

Der Heiligabend hatte in unserer Familie einen besonderen Stellenwert. Es gab viel Geheimnisse rund um das Weihnachtszimmer. Niemand von uns durfte vorher hineinschauen. Beide Eltern waren dort emsig tätig. Wir Kinder waren mehr oder weniger uns selbst überlassen. Wir hatten meistens auch noch damit zu tun, unsere Weihnachtsgeschenke fertigzustellen und einzupacken.  Ich machte schon am Vormittag eine ganz große Schüssel Obstsalat. Berge von Orangen, Bananen, Äpfeln und anderem Obst kamen hinein. Wie köstlich war das! Er sollte ein paar Stunden bis zum Abend ziehen. Und je feiner ich das Obst schnitt, umso besser schmeckte der Obstsalat.

 

Endlich war es Zeit, in die Kirche zu gehen. Wir zogen uns festlich an und gingen alle miteinander zum Gottesdienst. Wir hörten die Weihnachtsgeschichte und sangen Weihnachtslieder. Die Kirche war mit einem riesigen Christbaum geschmückt. Meistens gab es auch ein Krippenspiel. Ab und zu hatten  meine Geschwister oder ich eine Rolle darin. Wie feierlich war das alles! Dann gingen wir zusammen nach Hause und aßen eine Kleinigkeit. Zum Nachtisch gab es Mengen von Obstsalat.  Nun konnte die Bescherung kommen. Aber meine Eltern bestanden darauf: Wir lesen zuerst noch die Weihnachtsgeschichte und singen Weihnachtslieder. Mir hat das nicht wirklich eingeleuchtet. Wir hatten das alles ja schon in der Kirche gemacht. Aber es war einfach so Sitte bei uns. Darüber gab es keine Diskussion. Und es war auch schön, als Familie mehrstimmig zu singen. Meine Mutter begleitete uns am Klavier. Manchmal spielte eines von uns Flöte. Danach wurden die Geschenke verteilt.

 

Ich habe in den letzten Tagen über diese Sitte nachgedacht. Woher kam das wohl?

Meine Eltern und Großeltern hatten Zeiten erlebt, in denen es nicht möglich war, zur Kirche zu gehen. Mein Großvater verbrachte 2 Weihnachten im Konzentrationslager in Einzelhaft. Dort gab es ganz bestimmt keinen Gottesdienst. Mein Vater war Soldat. Weihnachten war trotzdem wichtig. Wie haben sie das wohl zelebriert? Mein Großvater hat ganz bestimmt in seiner Zelle die Weihnachtsgeschichte rezitiert. Er kannte sie auswendig. Seine Bibel war ihm weggenommen waren. Aber eine Fülle von Versen lebte in ihm. Er musste sie nicht aus dem Buch lesen. Sie waren in sein Herz geschrieben. Mein Vater sang für sein Leben gerne. Ganz bestimmt hat er Weihnachtslieder gesungen und gepfiffen, wenn kein anderer ihn hörte.  Das ließ er sich gar nicht nehmen. Er brauchte dafür keine Orgelbegleitung und kein Gesangbuch. Alles lebte in ihm. Und er wollte das später auch mit seiner Familie weiterführen, Kirche hin oder her.

 

Es ist in diesem Jahr noch gar nicht sicher, ob die Weihnachtsgottesdienste stattfinden können. Alle Gemeinden haben sich ins Zeug gelegt und etwas ausgedacht, wie die Gottesdienste gefeiert werden können, trotz Abstand und Hygiene. Sehr viel Liebe und Sorgfalt wurde hineingesteckt. Bisher sieht es so aus, als wäre der  Gottesdienstbesuch erlaubt. Aber im Moment ist gar nichts sicher. Ein Teil von denen, die normalerweise an Weihnachten gerne in die Kirche kommen, wird dieses Jahr nicht kommen können. Es ist eine sehr seltsame Situation. Wie werden wir den Heiligabend feiern ohne gemeinsamen Gottesdienst?

 

Wir werden die Weihnachtsgeschichte lesen und Lieder singen, einfach zu zweit. Mein Mann und ich. Wir haben das bisher noch nie so gemacht. Wir waren immer in der Kirche am Heiligabend, einmal, zweimal, manchmal sogar dreimal. Unsere ganze Liebe und Fantasie haben wir in die Gestaltung der Weihnachtsgottesdienste für die Gemeinde gesteckt. Wir haben beide viele Jahre als Pfarrer und Pfarrerin gearbeitet. Wenn wir zuhause waren, war nur noch Ausruhen angesagt. Kerzen, Geschenke, Obstsalat. Mehr haben wir nicht gebraucht. Dieses Jahr wird es vielleicht anders sein. Wir wissen das noch nicht.

Ich lade Sie und Euch ein, gedanklich mit dieser Möglichkeit umzugehen und sich darauf einzustellen. Was werden Sie tun, wenn die Kirche an Heiligabend geschlossen bleiben muss? Was werden Sie tun, wenn auch die Feiern im Freien nicht stattfinden dürfen? Und was werden Sie tun, wenn Ihr Besuch nicht kommen kann? Es ist gut, sich auf diese Situation rechtzeitig vorzubereiten.

Weihnachten kommt, ob mit oder ohne Gottesdienst. Wir feiern es trotzdem. Wir denken uns etwas aus. 

 

Ich wünsche Ihnen allen und euch allen einen guten Tag.

Gabriele Koenigs