Wahre Liebe vertreibt die Furcht

Voller Freude. Aquarell von Gabriele Koenigs (2022). Im Passepartout für Bilderrahmengröße 50 cm x 50 cm. Als Original erhältlich
Voller Freude. Aquarell von Gabriele Koenigs (2022). Im Passepartout für Bilderrahmengröße 50 cm x 50 cm. Als Original erhältlich
Leo strahlt. Seine Augen blitzen. Er hat für Angela ein Bild gemalt. Sie ist begeistert und sagt immer wieder: „Das hast du so schön gemacht! Danke, mein Schatz!“ „Tausend Dank!“ Sie ist den Tränen nahe. Welch ein Schatz ist dieses Kind!
 

 

Leo ist erst seit 7 Monaten bei ihr und ihrem Mann. Sie haben dieses Kind aufgenommen, weil seine Eltern die Verantwortung nicht tragen konnten. Sie haben es zur Adoption freigegeben. Angela und Klaus hatten lange auf Kinder gewartet. Schließlich hatten sie sich entschlossen, ein fremdes Kind anzunehmen. Eines Tages war es so weit. Leo kam in ihr Haus. Er war zu diesem Zeitpunkt schon 18 Monate alt. Wie würde das gelingen? Würde dieses Kind sich wohlfühlen bei ihnen? Würde es sich entwickeln wie ein gesundes Kind? Würden sie ihm gewachsen sein? Nachts lag Angela oft wach und grübelte. Sie wollte auf keinen Fall etwas verkehrt machen. Sie wollte ihm eine gute Mutter sein. Sie liebte dieses Kind so sehr. Sie wollte alles ausgleichen, was Leo durch sein turbulentes erstes Lebensjahr entbehrt hatte. Sie las Erziehungsratgeber und beriet sich mit anderen Adoptiveltern. Sie nahm Erziehungsurlaub. Sie ließ sich viel für ihren kleinen Sohn einfallen. Bilderbücher, Bauklötze, Kuscheltiere, Ausflüge. Vor kurzem hatte sie ihm sogar eine Kinderstaffelei gekauft und eine blaue Malerschürze dazu.
Leo taucht den Pinsel in den Farbtopf und legt los. Er zieht große Linien über das Papier. Bisher hat Angela ihm immer nur kleine Blätter gegeben. Mit Buntstiften hat er darauf herumgekritzelt. Das Bild war schnell fertig. Nun ist es etwas anderes. So ein riesiges Blatt und so leuchtende Farbe! Leo genießt es, lange Linien zu ziehen. Noch eine Linie, und noch eine. Und dann ein großer roter Klecks und ein paar kleine Kleckse. Die Farbe kleckert auf den Boden. Leo macht sich gar nichts draus. Angela regt sich auch nicht auf. Sie wird nachher alles wegwischen. Fasziniert schaut sie dem kleinen Buben zu. Woher hat er diese Sicherheit? Woher weiß er, wie die Linien auf das Blatt gehören? Woher kommt sein Mut? Ihr Herz brennt vor Staunen und vor Liebe. „Von diesem Kind kann ich so viel lernen“, denkt sie. „Welch ein Segen ist dieses Kind!“ Leo legt den Pinsel weg und schaut sein großes Bild an. Dann schaut er zu Angela. Er liebt diese Frau, die so gut zu ihm ist. „Mama, das Bild schenke ich dir“, sagt er.
„Das ist das Schönste, was du je für mich gemacht hast“, sagt Angela. „Das braucht einen Ehrenplatz. Wir hängen es an die Wand“. Sie nimmt den großen Bogen von der Staffelei. Mit vier Reißnägeln befestigt sie das Bild an der Wand. Und sie schreibt das Datum dazu, an dem dieses Bild entstanden ist.
Als das Bild an der Wand hängt, strahlen beide um die Wette. Angela macht ein Foto von ihrem kleinen Künstler mit seiner Malerschürze und dem Bild. Diese Kinderaugen, so voller Freude und Stolz und Liebe. Einfach unfassbar ist das. Während sie ihn anschaut, spürt sie dieselben Gefühle auch in sich selbst. Und für einen Moment ist die Furcht weg. Diese Furcht, nicht gut genug zu sein: Sie ist jetzt einfach weg. Diesen Augenblick will Angela nie mehr vergessen.
 
Auch in dieser Nacht wacht Angela einmal auf. Ein Satz ist plötzlich in ihr. So glasklar, als hätte jemand das gerade zu ihr gesagt. „Wahre Liebe treibt die Furcht aus.“ Wer hat das gesagt? Wo hat sie diesen Satz schon einmal gehört? Es fühlt sich so an, als seien diese Worte durch und durch wahr. Ja, so ist es, denkt Angela: Wahre Liebe treibt die Furcht aus.
Ich wünsche Ihnen allen und euch allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche
 
Gabriele Koenigs
 
P.S: Diese Geschichte geht auf eine wahre Geschichte zurück. Ich habe nur die Namen geändert. Ich bin dankbar, dass ich diese Geschichte erzählen darf und das Bild zeigen darf, welches nach dem Foto dieser Mutter entstanden ist. Es hat mir sehr viel Freude gemacht, dieses Bild zu malen. Und ich stelle mir schon vor, dass es einer der Publikumsfavoriten in meiner nächsten Ausstellung werden wird. Auf jeden Fall kommt es auf mein Ausstellungsplakat!

Ich habe eine wunderschöne Motette zu dem Lied "Befiehl du deine Wege..." gefunden. Sie wurde von Johann Christoph Altnickol  komponiert, einem Mitglied der großen Musikerfamilie Bach. Es singt der Tölzer Knabenchor. Alle 12 Verse dieses besonderen Vertrauensliedes! Das tut gut, gerade jetzt in diesen angstvollen Tagen. Viel Freude beim Anhören! 

 

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