An manchen Tagen bin ich mir selbst ein Rätsel. Gestern war so ein Tag. Ich wollte und sollte etwas für den Aquarellkurs vorbereiten. Ich habe ein Motiv gemalt, das ich mit meinen Teilnehmerinnen machen möchte. Dabei habe ich mich richtig ungeschickt angestellt. Ich wurde immer nervöser. Was, wenn ich es nächste Woche nicht hinbekomme? Was, wenn ich gar nicht mehr unterrichten kann, nach der langen Pause? Was, wenn mir die Kraft einfach nicht für eine Kursgruppe reicht? Wenn die Zweifel erst einmal angefangen haben, üben sie einen Sog aus, dem ganz schwer zu entkommen ist. Ich weiß, wie destruktiv das ist. Ich weiß, dass das weder mir noch anderen nützt. Und trotzdem kam ich gestern nicht heraus. Das Chaos in mir und um mich herum wurde immer größer.
Mitten in dem Chaos gab es aber auch Klarheit. Die Teilnehmerinnen kommen am Montag. Bis dahin werde ich mich wieder sortiert haben. Es war schon immer so. Es wird wieder so sein. Mein lieber Mann hält mich aus, selbst wenn ich so durcheinander bin. Er lässt sich von meinem Chaos gar nicht irritieren. Das hilft. Seine Liebe ist beständig. Und die göttliche Liebe ist beständig. Ich darf mich darauf verlassen - selbst wenn es zwischendurch solche Tage gibt, an denen ich nichts auf die Reihe bekomme.
Dietrich Bonhoeffer hat im Jahr 1944 in der Gefangenschaft ein Gedicht geschrieben, welches auch von Zweifel und Durcheinander spricht, ganz aufrichtig.
"Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest,
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.
Wer bin ich? Sie sagen mir auch,
ich trüge die Tage des Unglücks
gleichmütig lächelnd und stolz,
wie einer, der siegen gewohnt ist.
Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,
hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,
dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,
zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,
umgetrieben vom Warten auf große Dinge,
ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,
müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,
matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler
Und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?
Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer,
das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!"
Selbst die Frömmsten und Tapfersten tragen in sich viel Rätselhaftes und kommen manchmal mit sich selbst und mit den anderen nicht klar. Das scheint zum Menschsein zu gehören. Auch solche Tage und Stunden gehen vorbei. Und wir finden unser Vertrauen wieder, unseren Mut, unsere Zuversicht. Ich habe es oft erlebt. Sie haben es oft erlebt. Es ist wie ein Wunder. Dieses Wunder brauchen wir genauso nötig wie das tägliche Brot. Bitten wir darum.
Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche
Gabriele Koenigs
Hier können Sie ein Stück aus dem Psalm 42 hören, vertont von Felix Mendelssohn-Bartholdy:
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott!
Denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe
und mein Gott ist.
Preis sei dem Herrn, dem Gott Israels,
von nun an bis in Ewigkeit.
Viel Freude beim Anhören!
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