Sehr bewusst

aufatmen. Ölgemälde von Gabriele Koenigs (2023) auf Leinwand. 60 cm x 40 cm. Als Original erhältlich
aufatmen. Ölgemälde von Gabriele Koenigs (2023) auf Leinwand. 60 cm x 40 cm. Als Original erhältlich

 

Zwei Leute sind abends noch unterwegs zu einem Nachtspaziergang. Die Sterne funkeln über ihnen. Alles ist still. Plötzlich ist ein Käuzchen zu hören. Hörst du das Käuzchen, fragt die Frau. Ihr Mann hört schon nicht mehr ganz so gut. Ihm war es noch nicht aufgefallen. Aber nun lauscht er hin. Das Käuzchen ruft wieder durch die Nacht. Welch ein Ruf! Er geht durch Mark und Bein. Etwas ganz Tiefes liegt in ihm. Etwas Schauriges. Etwas Wahres. Klage liegt in ihm, und Sehnsucht.

 

Die Schwester dieses Mannes liegt im Sterben. Sie hat einen schweren Leidensweg durchgemacht in den letzten Jahren. Nach einem Sturz von einem Obstbaum war sie querschnittsgelähmt. Ihre ganze Familie hat sich bemüht, ihr beizustehen. Sie war tapfer und hat sich angestrengt, mit dem Leben im Rollstuhl zurechtzukommen. Ihr Haus wurde umgebaut, damit sie sich darin frei bewegen konnte. Aber sie wurde immer noch kränker und schwächer. Inzwischen ist auch ihr Geist verwirrt. Sie kann nicht mehr zuhause mehr versorgt werden. Jetzt liegt sie im Pflegeheim. „Wenn sie doch endlich sterben dürfte“, sagt er. Er liebt seine Schwester. Sie wird ihm sehr fehlen, wenn sie nicht mehr da ist. Schon jetzt fühlt er die Traurigkeit über ihren Verlust. Zugleich ist ihm klar, dass es für sie besser wäre, wenn sie sterben dürfte. Er gönnt es ihr, dass sie das Leiden hinter sich lassen wird. Er erzählt seiner Frau von den Stunden, die er heute bei seiner Schwester verbracht hat. „Ich möchte sie auch noch einmal sehen“, sagt seine Frau.

 

Wir werden alle sterben. Die ganze Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen. Jeder Mensch, jedes Tier, jeder Baum wird einmal sterben. Ob Tier und Pflanze dieses ahnen können? Wir Menschen wissen, dass wir sterben müssen. Wir werden alle sterben. Es ist nicht so leicht, daran zu denken. Meistens vermeiden wir das. In besonderen Situationen kommt es uns aber wieder zu Bewusstsein. Ist es schrecklich, zu sterben? Oder ist es gut? Fürchten wir uns davor, oder sehnen wir uns danach? Beides kann sein. Manchmal ist es sogar beides zugleich. Wir können in uns  Sehnsucht und Traurigkeit fühlen, beides zugleich.

 

Am nächsten Tag fährt die Frau zu ihrer Schwägerin. Einige Stunden sitzt sie bei ihr am Bett. Die Sterbende kann nicht mehr sprechen. Aber sie reagiert auf Berührungen. Sie sucht die Hand ihrer Besucherin und drückt sie fest. Und sie hört ihren Gesang. Die Besucherin singt einige Lieder, die ihr in diesem Moment in den Sinn kommen. Ihre Schwägerin hat auch immer gerne gesungen. Viele Jahre lang war sie im Kirchenchor. Die Besucherin hofft, dass diese Lieder ankommen bei der Sterbenden und ihr helfen, mit der Angst zurechtzukommen. Mindestens tun sie ihr selbst gut. Sie singt: „Jesu, geh voran auf der Lebensbahn. Führst du uns durch rauhe Wege, gib uns auch die nötge Pflege. Tu uns nach dem Lauf deine Türe auf.“ Wie schön wäre es, wenn die Sterbende noch mit einstimmen könnte. Aber dafür ist es zu spät. Das Lied tut trotzdem seinen Dienst. Die Sterbende wird ruhig. Ihr fallen die Augen zu. Sie schläft ein Weilchen. Ein tiefer Frieden ist im Raum. Als die Kranke wieder wach ist und ihre Besucherin wahrnimmt, singt sie noch ein Lied. „Gloria sei dir gesungen mit Menschen- und mit Engelszungen, mit Harfen und mit Zymbeln schön. Von zwölf Perlen sind die Tore in deiner Stadt. Wir stehn im Chore der Engel hoch um deinen Thron. Kein Ohr hat je gehört. Kein Aug hat je gespürt solche Freude. Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für.“

 

Welch eine große Hoffnung liegt in diesem Lied. Es ist die Hoffnung auf die Freude der Erlösten. Eines Tages wird es so weit sein, dass alle Klage überwunden ist. Eines Tages werden wir frei sein von aller Not und Beschwernis des Leibes und der Seele. Eines Tages werden wir Gott loben ohne Ende, zusammen mit allen Erlösten. Die Leiden dieser Zeit werden dann klein erscheinen. Sie sind überwunden. Die Freude wird um vieles größer sein. Das Halleluja wird erklingen ohne Ende. Welch eine Aussicht!

 

Wir können es niemandem beweisen, dass es wirklich so ist. Wir können es auch uns selbst nicht beweisen. Aber wir können in die Fußstapfen derer treten, die aus diesem Glauben gelebt haben und in diesem Glauben gestorben sind. Die Zeugnisse der Glaubenden helfen uns, über den Tod hinauszudenken. Der Tod ist nicht das Ende. Gott hat noch etwas mit uns vor, auch nachdem wir gestorben sind. Unser Erdenweg geht zu Ende. Aber die Beziehung zu Gott stirbt nicht.

 

An einem schönen Frühlingstag sind Mann und Frau wieder unterwegs im Wald. Die ersten Blättchen an den Bäumen kommen hervor. Das Moos leuchtet in frischem Grün. Die Luft vibriert vom Zwitschern der Vögel. Die Sonne lacht vom Himmel. Der Himmel ist blau. „Wie schön ist es, nochmals einen Frühling erleben zu dürfen“, denkt die Frau. „Hörst du dieses Vogelzwitschern“, fragt sie ihren Mann. Er nickt. Seine Hand in ihrer fühlt sich warm an. „Ich lebe so gerne“, sagt sie. „Hoffentlich dürfen wir noch eine Weile zusammen hier sein.“ „Ja, das möchte ich auch“, sagt er. Der Weg unter ihren Füßen ist weich. Sie ist nicht mehr so gut zu Fuß. Es wird keine große Wanderung, sondern nur ein Spaziergang. Dennoch ist es herrlich.  Die Luft ist klar und frisch. Sie atmen durch. Sie pflücken ein paar grüne Zweige für zuhause. Tiefer Frieden ist in ihnen. Und eine große Dankbarkeit. Jeder Tag ist ein Geschenk. Sie sind sich dessen sehr bewusst. 

 

Keiner weiß, was das Leben bereithält in den Tagen und Jahren, in denen wir noch hier sind. Welche Freuden wir erleben dürfen. Durch welches Leid wir hindurchmüssen. Wie die Weltlage sich weiterentwickelt. Wir wissen es gar nicht. Aber wir leben. Mit Ängsten. Mit Sehnsucht. In Liebe. Mit Hoffnung. Und in Geduld. Wir tragen den Glauben weiter durch die Zeit, solange, bis wir erlöst sind.

 

Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche

Gabriele Koenigs

 

 

 

Zwei Leute sind abends noch unterwegs zu einem Nachtspaziergang. Die Sterne funkeln über ihnen. Alles ist still. Plötzlich ist ein Käuzchen zu hören. Hörst du das Käuzchen, fragt die Frau. Ihr Mann hört schon nicht mehr ganz so gut. Ihm war es noch nicht aufgefallen. Aber nun lauscht er hin. Das Käuzchen ruft wieder durch die Nacht. Welch ein Ruf! Er geht durch Mark und Bein. Etwas ganz Tiefes liegt in ihm. Etwas Schauriges. Etwas Wahres. Klage liegt in ihm, und Sehnsucht.

 

Die Schwester dieses Mannes liegt im Sterben. Sie hat einen schweren Leidensweg durchgemacht in den letzten Jahren. Nach einem Sturz von einem Obstbaum war sie querschnittsgelähmt. Ihre ganze Familie hat sich bemüht, ihr beizustehen. Sie war tapfer und hat sich angestrengt, mit dem Leben im Rollstuhl zurechtzukommen. Ihr Haus wurde umgebaut, damit sie sich darin frei bewegen konnte. Aber sie wurde immer noch kränker und schwächer. Inzwischen ist auch ihr Geist verwirrt. Sie kann nicht mehr zuhause mehr versorgt werden. Jetzt liegt sie im Pflegeheim. „Wenn sie doch endlich sterben dürfte“, sagt er. Er liebt seine Schwester. Sie wird ihm sehr fehlen, wenn sie nicht mehr da ist. Schon jetzt fühlt er die Traurigkeit über ihren Verlust. Zugleich ist ihm klar, dass es für sie besser wäre, wenn sie sterben dürfte. Er gönnt es ihr, dass sie das Leiden hinter sich lassen wird. Er erzählt seiner Frau von den Stunden, die er heute bei seiner Schwester verbracht hat. „Ich möchte sie auch noch einmal sehen“, sagt seine Frau.

 

Wir werden alle sterben. Die ganze Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen. Jeder Mensch, jedes Tier, jeder Baum wird einmal sterben. Ob Tier und Pflanze dieses ahnen können? Wir Menschen wissen, dass wir sterben müssen. Wir werden alle sterben. Es ist nicht so leicht, daran zu denken. Meistens vermeiden wir das. In besonderen Situationen kommt es uns aber wieder zu Bewusstsein. Ist es schrecklich, zu sterben? Oder ist es gut? Fürchten wir uns davor, oder sehnen wir uns danach? Beides kann sein. Manchmal ist es sogar beides zugleich. Wir können in uns  Sehnsucht und Traurigkeit fühlen, beides zugleich.

 

Am nächsten Tag fährt die Frau zu ihrer Schwägerin. Einige Stunden sitzt sie bei ihr am Bett. Die Sterbende kann nicht mehr sprechen. Aber sie reagiert auf Berührungen. Sie sucht die Hand ihrer Besucherin und drückt sie fest. Und sie hört ihren Gesang. Die Besucherin singt einige Lieder, die ihr in diesem Moment in den Sinn kommen. Ihre Schwägerin hat auch immer gerne gesungen. Viele Jahre lang war sie im Kirchenchor. Die Besucherin hofft, dass diese Lieder ankommen bei der Sterbenden und ihr helfen, mit der Angst zurechtzukommen. Mindestens tun sie ihr selbst gut. Sie singt: „Jesu, geh voran auf der Lebensbahn. Führst du uns durch rauhe Wege, gib uns auch die nötge Pflege. Tu uns nach dem Lauf deine Türe auf.“ Wie schön wäre es, wenn die Sterbende noch mit einstimmen könnte. Aber dafür ist es zu spät. Das Lied tut trotzdem seinen Dienst. Die Sterbende wird ruhig. Ihr fallen die Augen zu. Sie schläft ein Weilchen. Ein tiefer Frieden ist im Raum. Als die Kranke wieder wach ist und ihre Besucherin wahrnimmt, singt sie noch ein Lied. „Gloria sei dir gesungen mit Menschen- und mit Engelszungen, mit Harfen und mit Zymbeln schön. Von zwölf Perlen sind die Tore in deiner Stadt. Wir stehn im Chore der Engel hoch um deinen Thron. Kein Ohr hat je gehört. Kein Aug hat je gespürt solche Freude. Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für.“

 

Welch eine große Hoffnung liegt in diesem Lied. Es ist die Hoffnung auf die Freude der Erlösten. Eines Tages wird es so weit sein, dass alle Klage überwunden ist. Eines Tages werden wir frei sein von aller Not und Beschwernis des Leibes und der Seele. Eines Tages werden wir Gott loben ohne Ende, zusammen mit allen Erlösten. Die Leiden dieser Zeit werden dann klein erscheinen. Sie sind überwunden. Die Freude wird um vieles größer sein. Das Halleluja wird erklingen ohne Ende. Welch eine Aussicht!

 

Wir können es niemandem beweisen, dass es wirklich so ist. Wir können es auch uns selbst nicht beweisen. Aber wir können in die Fußstapfen derer treten, die aus diesem Glauben gelebt haben und in diesem Glauben gestorben sind. Die Zeugnisse der Glaubenden helfen uns, über den Tod hinauszudenken. Der Tod ist nicht das Ende. Gott hat noch etwas mit uns vor, auch nachdem wir gestorben sind. Unser Erdenweg geht zu Ende. Aber die Beziehung zu Gott stirbt nicht.

 

An einem schönen Frühlingstag sind Mann und Frau wieder unterwegs im Wald. Die ersten Blättchen an den Bäumen kommen hervor. Das Moos leuchtet in frischem Grün. Die Luft vibriert vom Zwitschern der Vögel. Die Sonne lacht vom Himmel. Der Himmel ist blau. „Wie schön ist es, nochmals einen Frühling erleben zu dürfen“, denkt die Frau. „Hörst du dieses Vogelzwitschern“, fragt sie ihren Mann. Er nickt. Seine Hand in ihrer fühlt sich warm an. „Ich lebe so gerne“, sagt sie. „Hoffentlich dürfen wir noch eine Weile zusammen hier sein.“ „Ja, das möchte ich auch“, sagt er. Der Weg unter ihren Füßen ist weich. Sie ist nicht mehr so gut zu Fuß. Es wird keine große Wanderung, sondern nur ein Spaziergang. Dennoch ist es herrlich.  Die Luft ist klar und frisch. Sie atmen durch. Sie pflücken ein paar grüne Zweige für zuhause. Tiefer Frieden ist in ihnen. Und eine große Dankbarkeit. Jeder Tag ist ein Geschenk. Sie sind sich dessen sehr bewusst. 

 

Keiner weiß, was das Leben bereithält in den Tagen und Jahren, in denen wir noch hier sind. Welche Freuden wir erleben dürfen. Durch welches Leid wir hindurchmüssen. Wie die Weltlage sich weiterentwickelt. Wir wissen es gar nicht. Aber wir leben. Mit Ängsten. Mit Sehnsucht. In Liebe. Mit Hoffnung. Und in Geduld. Wir tragen den Glauben weiter durch die Zeit, solange, bis wir erlöst sind.

 

Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche

Gabriele Koenigs

 

 


Hier können Sie den Choral hören: Danket dem Herrn... Den Text finden Sie im Evangelischen Gesangbuch bei Nr. 333. Viel Freude beim Anhören und Mitsingen. 

 

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Und hier können Sie ein Lied von Eugen Eckert hören. Der Text ist urheberrechtlich geschützt, darum kann ich ihn hier nicht vollständig hineinsetzen. Es ist eine Nachdichtung zu Psalm 31, sehr gelungen. Lauschen Sie den beiden, die das musizieren. Hören Sie, was bei Ihnen landet. 

Hier ist nur ein kleiner Auszug: 

 

In deinen Händen steht die Zeit, bei dir bin ich geborgen.
Du bist mein Gott von Ewigkeit, schenkst mir den neuen Morgen.
Dein Atem küsst die Sonne wach,
dein Geist hilft auf, wo ich zu schwach, den nächsten Schritt zu wagen.
Eugen Eckert