Heute Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich hatte noch bis spät am Abend im Atelier gearbeitet. Ich konnte einfach kein Ende finden. Hier noch ein Strich, dort noch ein Tupfer, und eine Schicht Farbe über den ganzen Himmelsbereich. Das Bild wurde nicht besser, sondern schlechter. Ich versuchte zu retten, was zu retten war. Aber schließlich musste ich mir eingestehen: Das Bild war verdorben. Die Arbeit eines ganzen Tages war umsonst gewesen. Enttäuscht ging ich zu Bett. Wie gerne hätte ich jetzt wenigstens geschlafen! Stattdessen ging mir das Bild durch den Kopf. Ich rief mir alle Fehler ins Gedächtnis und überlegte mir, was ich bei einer neuen Version besser machen könnte. Mein Herz raste. Umso mehr ich mich bemühte einzuschlafen, umso aufgeregter wurde ich.
Am Morgen spürte ich immer noch, wie stark mein Herz klopfte. Ich legte meine Hand darauf, um es ein wenig zu beruhigen. Es hätte keinen Sinn gehabt, sofort wieder an die Arbeit zu gehen. Zuerst einmal musste ich wieder mit mir selbst ins Reine kommen. Mit der Hand auf dem Herzen lauschte ich nach innen. Ich spürte das Klopfen. Und ich nahm die Atembewegung wahr.
Allmählich wurde mir bewusst: Mein Herz tut mir einen großen Dienst. Es schlägt für mich, Tag für Tag und Nacht für Nacht, ganz treu. Und ich kann atmen. Ich bin lebendig. Ein neuer Tag ist angebrochen. So ein Geschenk! Ich darf leben. Und ich kann wieder tätig sein. Ich werde einen neuen Versuch wagen. Und heute werde ich nicht bis in die Nacht hinein arbeiten!
Die neue Version ging viel besser. Allmählich kam die Schaffensfreude zurück. Ich malte drei Bäume im Blütenkleid, dazu eine leuchtend grüne Wiese voller Löwenzahn. Bäume sind stark und zugleich sehr zart. Es ist niemals sicher, dass ihre Blüten zur Frucht werden. Frost oder Hagel könnte alles zerstören. Trotzdem blühen sie, im Vertrauen auf das Leben. Sie bringen unzählbar viele Blüten hervor. Es genügt, wenn ein Teil der Blüten zur Frucht wird.
So ist es auch in meinem Leben: Es muss nicht alles gelingen. Das Leben ist größer als dieses oder jenes Werk. Die Freude am Leben wacht immer wieder in mir auf. Sie ist unverwüstlich wie der Löwenzahn.
Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche
Gabriele Koenigs
Hier kommt eine Arie aus einer Bachkantate, die ich bisher noch nie gehört habe. "Ich bin vergnügt mit meinem Glücke, das mir der liebe Gott beschert...!"
Wunderschön musiziert und gesungen vom collegium vocale Gent unter der Leitung von Philipp Herreweghe.
Wer die ganze Kantate hören will, findet weitere Aufnahmen bei youtube.
Viel Freude beim Anhören!!!!
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