Eine Frau kam in meine Ausstellung und sah dieses Gemälde. Es sprach ganz tief zu ihr. Sie durchlebt mit ihrem Mann eine sehr besondere, intensive Zeit. Er ist Pfarrer und geht demnächst in den Ruhestand. Alles, was jetzt in der Gemeinde zu tun ist, macht er zum letzten Mal. Der letzte Familiengottesdienst, das letzte Osterfest, der letzte Seniorennachmittag usw. Das ist ein riesengroßer Einschnitt, für ihn und für sie. Dieser Beruf ist kein Achtstundenjob. Er fordert einen Menschen ganz und gar. Auch die Familie ist in diesen Beruf einbezogen und wird von ihm mitgeprägt. Das ist oft eine Belastung. Und zugleich verschafft dieser Beruf Beziehung, Erfüllung, Sinn. Wie wird es sein, ohne diesen Beruf? Beide können sich das noch gar nicht vorstellen.
In meinem Bild steht ein Baumstumpf. Grün liegt darüber, und ein kleiner Spross kommt heraus. Etwas Neues will wachsen aus dem, was zu Ende gegangen ist. Das ist für sie ein Hoffnungszeichen. Etwas Neues will wachsen, auch in ihrem Leben.
Die großen Flügel über dem Baumstumpf sind eine Verheißung. Etwas kommt zu Hilfe. Es ist ohne Körper. Man kann nicht zuordnen, was es ist. Könnte es ein Engel sein? Könnte es ein Vogel sein? Ist es die Seele? Oder ist es einfach eine erhebende Kraft? Ist es der Auftrieb in schwierigen Zeiten? In meinem Gemälde ist es offen. Und auch im Leben ist das offen. Wir wissen nie im Voraus, was uns zu Hilfe kommt. Aber wir haben es erfahren, wieder und wieder: Die Hilfe kommt. Unsere Seele erhebt sich aus Ratlosigkeit und Mutlosigkeit und Müdigkeit. Sie wagt ein neues Abenteuer. Sie schwingt sich empor in Lobpreis und Freude.
Ich habe einen Psalmvers als Titel für mein Bild gewählt: „Du gibst meiner Seele große Kraft.“ Mir bedeutet dieser Vers viel. „Sie können auch einen anderen Titel für das Bild wählen“, sagte ich zu ihr. „Nein, sagte sie. Dieser Titel ist goldrichtig" Sie rezitierte den Psalmvers in seiner ganzen Länge: „Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich und gibst meiner Seele große Kraft“ (Psalm 138,3). Ich merkte, wie viel auch für sie in diesem Vers enthalten ist.
Am Tag, an dem sie meine Ausstellung in Kornwestheim besucht haben, haben sich die beiden entschieden, dieses Bild zu erwerben. Vor ein paar Tagen kamen sie zu mir, um es abzuholen. Es hängt nun in der Wohnung, die sie sich für den Ruhestand eingerichtet haben. Es wird immer wieder zu ihnen sprechen.
Ich habe dieses Bild vor drei Jahren gemalt. Es hing seither schon in mehreren Ausstellungen. Viele Menschen haben es gesehen und sich daran gefreut. Das Gemälde hat auf diejenigen gewartet, die es besonders brauchen. Nun haben sie es gefunden. Nun haben sie es geholt. Es ist wie für sie geschaffen. Das ist eine ganz tiefe Befriedigung für mich. Und es ist eines der vielen göttlichen Wunder. Ich kannte die beiden damals noch gar nicht. Ich hatte keine Ahnung, dass sie mein Bild brauchen würden. Und doch ist es erschaffen für sie. Und sie haben es gefunden. Halleluja! Als sie das Bild in den Kofferraum ihres Autos geladen hatten und mit ihm davonfuhren, habe ich ihnen hinterhergewinkt, voll Freude und mit meinen allerbesten Wünschen. Möge dieses Bild ihnen einen ganz guten Dienst tun! Und mögen die beiden den Segen erfahren, der über dem Ruhestand liegt.
Ich bekomme immer wieder neue Kraft. Mögen auch Sie dieses Wunder erfahren, und ihr auch, immer wieder neu.
Ich wünsche euch allen und Ihnen allen einen schönen Sonntag und eine gute Woche
Gabriele Koenigs
Siegfried Fietz hat den berühmten Text von den "Spuren im Sand" vertont. Hier singt er es. Viel Freude beim Anhören und Nachsinnen!!!!
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