Ich sitze in einer Kirche auf der Insel Lipsi. Von Patmos aus habe ich einen Tagesausflug dorthin gemacht. Ich verweile dort längere Zeit. Es ist eine schöne Kirche, voller Ikonen. Es ist still. Kein Mensch ist drinnen außer mir. Plötzlich kommt eine ältere Frau mit einem kleinen Jungen hinein. Er ist vielleicht 3 oder 4 Jahre alt. Wahrscheinlich ist er ihr Enkelkind, denn die beiden gehen ganz vertraut miteinander um. Singend kommen sie hinein. Sie singt: "Christos anesti...", übersetzt: "Christus ist auferstanden". Er singt mit ihr. Sie gehen zielstrebig durch die Kirche. Sie weiß, wohin sie will. An einigen Stellen küsst sie die Ikonen und spricht Gebete. Sie spricht jeweils laut. Er spricht ihr alles nach. Dort, wo die Ikonen zu hoch hängen, hebt sie ihn hoch, damit er sie auch küssen kann. Sie holt Kerzen für die Kerzenecke. Beide zünden ihre Kerzen an und sprechen dazu Gebete. Eifrig wiederholt er alles, was sie vorspricht. Manchmal ist er unsicher und schaut fragend zu ihr hin. Sie macht ihm alles vor, auch die Gesten. Verbeugen, bekreuzigen, Kerzen anzünden, Ikonen küssen. Er macht es alles nach, mit einer heiligen Ernsthaftigkeit.
Wie schön, dass er alles von seiner Großmutter abschauen darf! Es wird ihm helfen, sich in der Kirche nicht fremd zu fühlen. Es wird ihm helfen, von Anfang an in einer Beziehung zum Göttlichen zu leben. Die Großmutter macht ihm vor, wie das geht.
Auch meiner Großmutter war das wichtig. Ich kann mich seltsamerweise nicht daran erinnern, dass sie mit mir in einer Kirche gewesen ist. Meine religiöse Erziehung fand hauptsächlich statt, wenn ich auf ihrem Schoß saß. Sie hat mir Lieder beigebracht, die ich bis heute nicht vergessen habe. Sie hat mit mir die Kinderbibel angeschaut und mir Geschichten daraus erzählt. Sie hat mit mir gebetet. Es war ihr ein Herzensanliegen, dass der Glaube in meinem Leben eine große Rolle spielt. Ich habe das gespürt. Dieses Anliegen kam aus ihrer Liebe. Sie hat mir weitergegeben, was für sie am wichtigsten war. Ich bin ihr zutiefst dankbar dafür.
Gottes Liebe ist bedingungslos. Sie hängt nicht davon ab, ob jemand die "richtigen" Gesten in der Kirche vollziehen kann, die "richtigen" Gebete im Wortlaut sprechen kann und keinen Gottesdienst versäumt. Wir müssen uns Gottes Liebe nicht durch Wohlverhalten verdienen. Gottes Liebe ist wie der warme großmütterliche Schoß, in dem wir uns bergen dürfen mit unserem Kummer und unserer Freude, mit allen Fragen und aller Not. Frère Roger Schütz, der Gründer der Kommunität von Taizé hat es so gesagt: "Gott kann nur lieben." Und Johannes hat es in seinem Brief so gesagt: "Gott ist Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." (1. Johannes 4,16)
Ich schicke euch allen und Ihnen allen herzliche Grüße aus dem sonnigen, warmen Griechenland und denke an diejenigen, die sich jetzt vor dem Hochwasser fürchten. Wir sind verbunden, über Berge und Meere hinweg.
Euch allen und Ihnen allen wünsche ich einen schönen Sonntag und eine gute Woche
Gabriele Koenigs
Hier kommt das schöne Lied von Manfred Siebald "Ins Wasser fällt ein Stein". Sie hören eine Klavierbegleitung und sehen den Text. So können Sie einfach loslegen und singen! Viel Freude dabei!
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