In den vergangenen Tagen habe ich einen Malkurs für Anfänger gegeben. Alles ist prima gegangen. Die Teilnehmerinnen und der Teilnehmer waren aufmerksam, gelehrig und voller Lust am Ausprobieren. Sie waren glücklich über die Bilder, die entstanden sind. Sie hatten nicht gedacht, dass sie so etwas Schönes erschaffen können. Schritt für Schritt ist es gelungen, mit klarer Anleitung durch mich. Am Abend vor dem letzten Kurstag war eine Teilnehmerin dennoch verzweifelt: "Dieses Bild wird einfach nichts! Wahrscheinlich werde ich es gar nicht einrahmen! Es gefällt mir ganz und gar nicht!" Auch andere waren sehr kritisch gegenüber ihrem Bild. Müde waren sie alle auch, sogar sehr. Eine ganze Woche malen ist anstrengend. Sie konnten sich wirklich nicht vorstellen, wie sie es schaffen sollten, ihr angefangenes Bild am nächsten Morgen befriedigend zu vollenden.
Ich spürte die Verzweiflung und versuchte, sie zu trösten und zu ermutigen. "Wir schaffen das", sagte ich. "Es ist gar nicht mehr so viel zu tun, und ich helfe euch!" Ich sagte auch: "Es ist eine ganz normale Dynamik im Schaffensprozess. Es passiert ganz oft, dass man kurz vor der Vollendung eines Werks in Verzweiflung gerät. Das passiert auch Leuten, die ein Buch oder eine Doktorarbeit schreiben oder ein Meisterstück für die Meisterprüfung abliefern sollen. Es ist ganz normal, und man kommt hindurch. Ich habe es schon so oft erlebt." Ich merkte, wie sie mich ungläubig anschauten. Und ich merkte, dass ich ihnen die Verzweiflung nicht ausreden konnte. Ich hätte die Verzweiflung am liebsten aus dem Raum geschafft. Aber ich musste sie aushalten und darauf vertrauen, dass sie sich am nächsten Tag in Wohlgefallen auflösen wird.
So war es auch. Am nächsten Morgen waren wir alle mit frischen Kräften da. Wir konzentrierten uns sehr gut. Und am Schluss waren alle Bilder fertig, schön und eingerahmt. Alle waren zufrieden und glücklich mit ihren Werken. Mit einem Gläschen alkoholfreien Sekt haben wir darauf angestoßen. Freudig haben wir von einander Abschied genommen.
Eine meiner lieben Freundinnen ist an diesem Tag durch eine viel schlimmere Verzweiflung gegangen. Sie bekam einen betrügerischen Anruf. Am Telefon hörte sie zunächst eine schluchzende Frauenstimme. Sie verstand gar nicht, was diese sagte. Sie dachte, dass dies eine Enkelin sein könnte, die sich gerade im Ausland aufhält, und sagte ihren Namen. Jemand anderes kam in die Leitung und erzählte ihr eine riesige, gemeine Lügengeschichte. Er flocht den Namen des Mädchens, den er von meiner Freundin gehört hatte, geschickt in seine Geschichte ein. Die Mutter dieses Mädchens, die Tochter meiner Freundin, habe einen Autounfall gehabt und dabei jemand getötet. Sie sei nun in Untersuchungshaft. Jemand am Telefon behauptete, sie sei eine Staatsanwältin. Meine Freundin müsse eine Kaution von 24.000 € überweisen, damit ihre Tochter freikommt. Alles stehe unter strengster Schweigepflicht. Sie dürfe niemandem davon erzählen, auch nicht den Leuten auf der Bank. Sie solle sagen, dass sie das Geld für einen Autokauf braucht. Meine Freundin ist ein grundehrlicher Mensch. Eine Lüge zu sagen, behagt ihr nicht. Sie äußerte vorsichtig diesen Vorbehalt. Die angebliche Staatsanwältin am Telefon sagte, dies sei unbedingt trotzdem nötig. Und sie solle das Handy angeschaltet lassen, damit sie - die angebliche Staatsanwältin - hören kann, was passiert.
Meine Freundin war so in Sorge um Tochter, Schwiegersohn und Enkelin, dass sie tatsächlich beschloss, zu ihrer Bank zu fahren und das Geld abzuheben und dieser angeblichen Staatsanwältin zu schicken. Sie kam gar nicht auf die Idee, ihre Tochter oder ihre Enkelin anzurufen und zu fragen, ob diese Geschichte wirklich stimmt. Aber sie wusste, dass sie noch ein bisschen Zeit hat, bis der Bus in die Stadt fährt. Sie setzte sich an ihr Klavier. Ein Choral kam ihr in den Sinn, einfach wie von selbst.
"Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hoffet auf ihn allezeit.
Den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott dem Allerhöchsten traut,
der hat auf keinen Sand gebaut."
Das Vertrauen auf die Hilfe des Allerhöchsten ist ihr Trost, allezeit. Auch in dieser schrecklichen Situation, voller Sorge um ihre Liebsten. Sie rang um ihre Fassung, um Gottvertrauen und um ein paar klare Gedanken.
Zitternd fuhr sie zur Bank und bat die Bankangestellte um die Auszahlung von 24.000 €. Diese fragte freundlich nach, wofür sie so viel Geld brauchte. "Ein Autokauf", sagte sie. "Müssen Sie das sofort bezahlen", fragte die Bankangestellte. "Nein, eigentlich nicht!" Die Bankangestellte sagte. "Ich habe eine Vermutung. Haben Sie vielleicht einen Anruf bekommen, dass jemand aus Ihrer Familie in Not ist und Sie sollen ganz schnell so viel Geld schicken, um diese Situation zu retten?" Meine Freundin nickte. "Jeden Tag passiert so etwas", sagte die freundliche Bankangestellte. Das sind lauter Betrüger. Glauben Sie diese Geschichte nicht! Und ich rufe jetzt für Sie die Polizei. Erzählen Sie denen, was passiert ist!"
Während sie auf die Polizei wartete, schaute sie nochmals auf ihr Handy. Jetzt war das Telefon schwarz. Die angebliche Staatsanwältin hatte aufgelegt. Das Stichwort Polizei hatte wohl genügt, um sie zu verjagen. Meine Freundin rief ihre Tochter an. Diese nahm ihr Telefon ab, wie gewohnt, nichtsahnend. "Ist alles okay bei euch", fragte meine Freundin. "Alles okay!" Ein riesengroßer Stein fiel ihr vom Herzen. Allmählich wurde ihr klar, welch unverschämter Lüge sie beinahe geglaubt hätte. Und wie wunderbar es war, dass ihre Tochter wohlbehalten ist, ohne Autounfall, ohne Gefängnis, ohne verzweifeltes Enkelkind. Sie atmete auf. Ihr Herz füllte sich mit Dank. Mit einem kurzen Stoßgebet schickte sie ihren Dank gen Himmel. Und sie dankte der Bankangestellten. "Sie sind mein Schutzengel gewesen", sagte sie. "Vielen, vielen Dank!"
Freundlich und mit Mitgefühl schaute die Bankangestellte sie an. "Sie sind nicht die Einzige, der so etwas passiert", sagte sie. "Jeden Tag kommt so etwas vor. Darum sind wir inzwischen auf diese Situationen geschult. Es war einfach meine Aufgabe, Sie in dieser Situation zu beschützen." "Ich bin so froh, dass Sie das gemacht haben. Ich werde Ihnen das niemals vergessen. Sie sind wirklich heute meinen Schutzengel gewesen. Danke, danke, danke!" Die beiden nahmen voneinander Abschied, als die Polizei eintraf.
Auf dem Polizeirevier gab sie die ganze Geschichte zu Protokoll. Sie erzählte alles, woran sie sich erinnern konnte. Manche Details konnte sie gar nicht mehr genau zuordnen. Sie war ja so fürchterlich aufgeregt gewesen, in dem Moment des grässlichen Anrufs. Auf dem Revier wurde ihr auch gesagt, dass sie nur einer von Tausenden Fällen ist, in denen dieser gemeine "Enkeltrick" angewandt wird. Sie musste das Protokoll unterzeichnen. Zum Abschied bekam sie einige Broschüren darüber, wie ältere Menschen sich vor solchen Betrügereien schützen können.
Endlich wieder daheim, machte sie sich erst einmal etwas zu essen. Und dann musste die ganze Geschichte natürlich erzählt werden. Sie rief die Menschen an, die ihr am allerliebsten sind, und erzählte, was ihr zugestoßen ist. Ihren Nachbarn erzählte sie es auch. Eine kam und brachte ihr ein paar Äpfel. Mehrere erzählten, dass ihnen solche Geschichten auch schon passiert sind. Alle waren voller Empörung über diese Gemeinheiten und zugleich froh, dass meine Freundin ohne Schaden hindurchgekommen ist. "Gott sei Dank!" Das haben viele gesagt. Auch ich. Und es war mehr als eine Floskel. Unser Dank kam von ganzem Herzen.
Aus Verzweiflung wird Dank. Aus Verzweiflung wird Wohlgefallen. Aus Verzweiflung wird noch größeres Gottvertrauen. Dies ist ein Wunder. Es geschieht im Kleinen wie im Großen. Es geschieht immer wieder. Gott sei Dank.
Wir können die Verzweiflung nicht aus der Welt schaffen. Wir können nicht verhindern, dass sie uns immer wieder überfällt. Aber wir dürfen auf Gottes Hilfe vertrauen. Und wir können mit anderen unsere Verzweiflung, unsere Erleichterung, unsere Freude und unseren Dank teilen. Wir sind füreinander da. Wir tragen einander. Und wir lernen auch aus den Geschichten, die uns jemand erzählt. Darum ist es mir wichtig, solche Geschichten aufzuschreiben und Ihnen und Euch zu schicken.
Alles Liebe und Gute für Sie und für euch!
Gabriele Koenigs
Hier hören Sie den alten Choral "Wer nur den lieben Gott lässt walten..." in einer Szene aus dem wunderschönen Film "Vaia con dios". Zum Dahinschmelzen!!!!!!!! Genießen Sie das! Sie finden den Text des Chorals in Ihrem Kirchengesangbuch.
Videos bei youtube sind leider mit Werbung verbunden. Lassen Sie sich davon nicht ablenken. Sie können die Werbung deutlich verkürzen, indem Sie auf die Schaltfläche klicken, die rechts unten erscheint: überspringen.
Erinnern Sie sich an das Lied "Let it be" von den Beatles? Hier singt Aretha Franklin dieses Lied. Es ist wirklich bemerkenswert. Die Freundin, von der ich heute erzähle, hat es mir geschickt, für Sie alle und für euch alle. Man kann sogar den Text im Video mitlesen.
"Let it be" hat mehrere Bedeutungen:
Lass es zu! Und: Lass es sein! Und: Lass es geschehen! Alles das schwingt in diesem Lied mit.
Und hier habe ich eine Übersetzung des englischen Textes gefunden. Dort wird "let it be" immer gleich übersetzt. Aber hören Sie die anderen Bedeutungen mit!
"Wenn ich mich in sorgenvollen Zeiten befinde
Erscheint mir Mutter Maria
Und spricht weise Worte:
Lass es geschehen
Und in meiner dunkelsten Stunde
Steht sie direkt vor mir
Und spricht weise Worte:
Lass es geschehen
Nimm's dir nicht so zu Herzen
Nimm's dir nicht so zu Herzen
Flüster weise Worte
Lass es geschehen
Und wenn die, die gebrochenen Herzens sind
Und in der Welt leben, sich einig sind
Wird es eine Antwort geben:
Lass es geschehen"
Hier gibt es einen Film aus der Serie "Aktenzeichen XY". Es geht um eine alte Frau, die ein Enkeltrickbetrügerteam auffliegen lässt. Es wird gezeigt, wie diese Verbrecher arbeiten. Aufregend, aber eine gute Information!
Und hier können Sie Ihren Kommentar hineinsetzen. Er ist für alle lesbar, die diese Internetseite besuchen. Möchten Sie etwas unterstreichen, korrigieren, weiterführen? Möchten Sie von einer eigenen Erfahrung erzählen? Herzlich willkommen!
Sie brauchen nicht Ihren vollen Namen dazusetzen. Der Vorname genügt.
Kommentar schreiben