Ich bin froh, am Leben zu sein

Ein neuer Tag beginnt. Ölgemälde auf Leinwand von Gabriele Koenigs (2024). Als Original erhältlich
Ein neuer Tag beginnt. Ölgemälde auf Leinwand von Gabriele Koenigs (2024). Als Original erhältlich

Hannah ist eine zierliche Person. Sie ist immer gut gekleidet.  Ihre silbergrauen Haare sind schön frisiert. Niemand bemerkt, dass es eine Perücke ist. Hannah hat 6 Monate Chemotherapie hinter sich. Nun atmet sie auf. Die Röntgenbilder haben gezeigt, dass die Tumore bis auf einen kleinen Rest verschwunden sind. Hannah erholt sich. Und sie nimmt sich wieder Schönes vor: Ein Bild malen, ein ausgedehnter Spaziergang, ein Schreibseminar, gemütlich im Café einkehren. Sie genießt es, am Leben zu sein. Sie freut sich an ihrem Garten und den Vögeln, die dort wohnen. Sie holt gesundes Gemüse direkt von den Erzeugern und kocht sich etwas Gutes. Sie tanzt sehr gerne. Gute Musik gibt ihr Leichtigkeit und Schwung und Freude. Gerne tanzt sie Squaredance in der Gruppe. Aber sie macht sich auch zuhause immer wieder Musik an und tanzt alleine. Beim Tanzen fühlt sie die Energie, die durch sie fließt. Ihre Augen strahlen.  

 

Vor 3 Jahren stand es ganz schlecht um sie. Sie hatte Gebärmutterkrebs. Bei der Operation und den nachfolgenden Behandlungen gab es alle nur denkbaren Komplikationen. Sie wurde immer schwächer. Sie war schon für einen Platz im Hospiz angemeldet. Doch sie durfte Heilung erfahren, wie durch ein Wunder. Sie lebte nochmals auf. Diese letzten drei Jahre waren ein besonderes Geschenk für sie. Sie kostet das Leben nun aus, ganz bewusst, in Dankbarkeit. Es ist ihr bewusst, dass ihr Leben endlich ist. Darum weiß sie nun noch deutlicher als früher, wie wichtig es ist, ihr Leben gut zu gestalten.  Jeder neue Tag ist  kostbar. Jeder neue Tag ist ein Geschenk. 

 

Vor einem halben Jahr wurden wieder bösartige Tumoren in ihrem Bauchraum entdeckt. Die Ärzte rieten ihr zur Chemotherapie. Sie hatte Angst davor. Aber sie nahm ihren Mut zusammen und stimmte zu. Eine Heilpraktikerin unterstützte sie zusätzlich zu den konventionellen Behandlungen. Sie gab ihr stärkende Mittel und Mittel, die die Nebenwirkungen auffangen.  

 

Hannah lebt allein. Sie hat keine Kinder. Aber sie hat sehr liebe Freundinnen und Freunde. "Ich schlafe bei dir in der ersten Nacht, nachdem du deine Chemo bekommen hast", hat eine Freundin ihr angeboten. Das hat sie liebend gerne angenommen. Nach jeder Chemo war ihre Freundin da. Ein Freund hat sie jeweils mit dem Auto in die Arztpraxis gebracht, wenn sie dort Termine hatte. Eine andere Freundin hat ihr Essen gekocht. Sie brauchte es nur noch aufwärmen. Es waren viele, die sie liebevoll umsorgt haben. So haben sich die Lasten gut verteilt. Eine ehrenamtliche Hospizmitarbeiterin kommt regelmäßig zu ihr, schon seit damals, als sie so übel dran war. Es hat sich eine wertvolle Freundschaft zwischen den beiden entwickelt. Jede Woche verbringen sie einen Nachmittag zusammen. Eine Organisation, die sich um Schmerzpatienten annimmt, schaut regelmäßig bei ihr vorbei. Sie bekommt die nötigen Medikamente und guten Rat. Sie kann dort Tag und Nacht jemand erreichen, wenn sie etwas braucht. Eine andere Freundin hat jeden Tag für sie gebetet. Mit ihren engsten Freundinnen telefoniert sie viel. Wenn es nötig wäre, würde jede von ihnen zu ihr kommen. Schon allein dies zu wissen, hilft. Wenn sie jemanden braucht, fragt sie sich, wen sie jetzt am besten bitten könnte. Meistens fällt ihr jemand ein. Meistens wird ihr geholfen. 

 

 

"Diese Erfahrung ist wirklich überwältigend", sagt sie. "Manchmal frage ich mich, womit ich das verdient habe". "Ich bin so reich beschenkt". Und sie sagt: "Ich bin nicht allein. Ich spüre das immer deutlicher. Selbst, wenn ich an einen fremden Ort komme, spüre ich die Verbundenheit mit den Menschen. Sie schauen mich freundlich an und grüßen mich. Ich bin eingebunden im Universum. Ich bin nicht allein. Ich kann immer nur staunen und dankbar sein." Ich sehe dieses Staunen auch in ihrem Gesicht, in ihren großen Augen. Ich sehe die Freude, die immer wieder in ihr aufblitzt. Bitterkeit finde ich in ihren Zügen nicht. Das ist wirklich bemerkenswert. 

 

Sie hat in ihrem Leben  viel Interessantes und Gutes erlebt.  "Ich habe jetzt angefangen, meine Biographie zu schreiben", erzählt sie. "Ich müsste platzen, wenn ich alles für mich behalten würde. Das Aufschreiben hilft mir. Und es macht so viel Freude, meine Texte anderen vorzulesen und ihre Rückmeldungen zu hören. Und es ist so interessant zu hören, was andere schreiben. Ich freue mich auf jedes Treffen mit meiner Schreibgruppe." Sie schwelgt gerne in Reiseerinnerungen. Als junge Frau ist sie von Russland nach Japan getrampt. Bestimmt wird sie in ihrer Biographie einiges davon erzählen. Und sie wird davon erzählen, was ihre Berufe ihr bedeutet haben. Sie war zunächst Gymnastiklehrerin und später Physiotherapeutin. Es hat ihr große Freude bereitet, in diesen Berufen tätig zu sein. Es waren erfüllende Aufgaben für sie. 

 

Ich höre ihr gerne zu. Ich verstehe, dass sie sich so am Leben freut. Dieselbe Freude lebt in mir. Auch ich bin unendlich dankbar, am Leben zu sein. 

 

Demnächst wird Hannah zu mir kommen. Sie hat sich vorgenommen, ein abstraktes Bild zu erschaffen. Es soll ihr Heilungsbild werden. Ich werde ihr dabei assistieren. Ich bin schon sehr gespannt auf den Schaffensprozess. Ich bin sehr gespannt auf das, was entstehen wird. Es ist eine große, erfüllende Aufgabe für mich, anderen dabei zu helfen, ihren Ausdruck zu finden.

 

Ich bin immer wieder fasziniert von den Lebensgeschichten, die ich hören darf. Wie einzigartig ist jedes Menschenleben, und wie erstaunlich, was sich darinnen entwickelt! Wie wunderbar sind die Erfahrungen von Freundschaft, Liebe und Versöhnung! Wie berührend, dass so viel Heilung geschieht. Es ist wirklich wunderbar, ein Teil des Lebens zu sein.  

 

Alles Liebe und Gute für Sie und für euch! 

Gabriele Koenigs  

 


Hier können Sie eines der Lieblingslieder von Hanna hören. Es stammt von dem österreichischen Sänger Hubert von Goisern. Es ist voll überschäumender Lebensfreude, die sich im Jodeln Luft verschafft. 

 

Das Österreichisch ist gar nicht so leicht zu verstehen. Darum füge ich hier die Übersetzung ein. 

Hörst du es nicht
wie die Zeit vergeht
Huidiei jodleiri Huidiridi
 
Gestern noch
haben die Leute ganz anders geredet
Huidiei jodleiridldüeiouri
 
Die Jungen sind alt geworden
und die Alten sind gestorben
Duliei, Jodleiridldu
Und gestern ist heute geworden
und heute ist bald morgen
Huidiei jodleiri huidiridi
 
Hörst du es nicht
Hörst du es nicht
Huideridiri
Hollareiridiridldoueio hållouri
 
Hörst du es nicht, wie die Zeit vergeht
Hörst du es nicht  

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