
Mein Großvater war im Konzentrationslager. Er hatte in einer Predigt etwas gesagt, was ihm als Kritik an Hitler ausgelegt wurde. Die Nazis machten kurzen Prozess mit ihm. Kurz nach dem Beginn des 2. Weltkriegs wurde er in Sachsenhausen eingesperrt. Niemand durfte ihn dort besuchen. Die Post wurde zensiert. Er wurde von den Wachen gedemütigt und gequält. Er musste bei den Hinrichtungen zusehen, die vor seinem Zellenfenster stattfanden. Das war die schlimmste Zeit seines Lebens. Er überlebte die Schrecken der Nazizeit. Aber er wurde seines Lebens nie mehr richtig froh. Er litt unter schweren Depressionen bis zuletzt.
In Amerika und in vielen europäischen Ländern sind die Rechtsradikalen wieder eine starke Macht. Sie schüchtern ein und verbreiten Hassparolen. Peu a peu übernehmen sie Schlüsselpositionen in der Wirtschaft und in der Politik. Bei uns in Deutschland verwenden sie zum Teil wieder die gleichen Parolen wie in der Zeit des Nationalsozialismus. Die SA hatte damals die Parole "Alles für Deutschland." Diese Parole ist heutzutage bei uns verboten. Aber Rechtsradikale wie Björn Höcke verwenden sie immer wieder. Und Alice Weidel, Kanzlerkandidatin der AFD, ließ sich auf dem Bundesparteitag der AFD feiern, indem die Delegierten skandierten: "Alice für Deutschland". Es kann kein Zufall sein, dass sich das fast so anhört wie "Alles für Deutschland."
Noch gilt die Redefreiheit in demokratischen Ländern. Wer weiß, wie lange noch?
Am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump als amerikanischer Präsident gab es einen Gottesdienst in Washington. Traditionellerweise nimmt der Präsident mit Familie und Beraterstab daran teil. Mariann Budde, Bischöfin der anglikanischen Kirche in Washington, hielt die Predigt. Zum Schluss ihrer Predigt sprach sie den Präsidenten ganz direkt an: "Herr Präsident, Millionen haben Ihnen ihr Vertrauen geschenkt. Und zugleich haben viele Menschen jetzt Angst." Sie bat ihn um Erbarmen für diejenigen, die jetzt in Amerika um ihre Sicherheit und ihr Leben fürchten. Sie nannte die vielen Menschen, die in Restaurants und Kliniken und Fabriken arbeiten und sich einbringen, auch wenn nicht alle von ihnen die korrekten Einwanderungspapiere haben. Sie nannte Schwule und Lesben und Menschen, die eine Geschlechtsumwandlung vollzogen haben. Sie sprach ruhig und eindringlich und klar. Gleich nach dem Gottesdienst sagte Trump, dass dieser Gottesdienst schlecht und nicht inspirierend war. Später verlangte er, dass er sich diese Pfarrerin für ihre Predigt bei ihm entschuldigen sollte. Ein Teil seiner Anhänger schrieb in den sozialen Medien, dass man diese Pfarrerin doch besser deportieren sollte. Wäre es schon so weit wie damals bei uns im Jahr 1939, wäre sie auch im Konzentrationslager gelandet.
Noch ist es nicht so weit. Wir brauchen keine Menschen verstecken, keine Pässe für sie fälschen und keine illegalen Flugblätter verteilen. Mutige Leute wie die jungen Studenten, die sich zur "weißen Rose" zusammengeschlossen hatten, haben damals ihr Leben für die Wahrheit und die Freiheit riskiert. In solch extremer Situation sind wir nicht. Wir brauchen keine Heldentaten vollbringen. Aber es ist wichtig, dass wir Haltung zeigen. Den Mund aufmachen gegen die Hassparolen. Zur Wahl gehen und eine demokratische Partei wählen. An Mahnwachen und friedlichen Demonstrationen teilnehmen. Behörden und Gerichte und Politiker an ihre Verantwortung erinnern. Haltung zeigen. Das ist jetzt wichtig. Bevor es zu spät ist.
Martin Niemöller, einer der führenden Köpfe der Bekennenden Kirche, war auch im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesperrt, in der Zelle neben meinem Großvater. Sie waren Freunde seit der Schulzeit. Mit Klopfzeichen versuchten sie, einander den Rücken zu stärken. Martin Niemöller hatte die Bibel und das Losungsbuch behalten dürfen. Mein Großvater hatte nichts. Martin Niemöller übermittelte ihm die Losung, Tag für Tag. Die Botschaften aus der Nachbarzelle hielten ihn aufrecht.
Martin Niemöller sagte nach dem Krieg:
"Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte."
Werden wir eines Tages sagen:
"Als sie die Flüchtlinge und Arbeitsimmigranten abtransportierten, haben wir geschwiegen. Wir waren ja weder Flüchtlinge noch Immigranten"?
Lassen wir es nicht so weit kommen!
Die schrecklichen Gewalttaten in Aschaffenburg und Magdeburg geschahen durch Menschen, die psychisch krank sind. Psychisch Kranke, die mit Gewaltphantasien leben und Amokläufe und Anschläge planen, gibt es leider viele. Sie sind nicht nur unter den Migranten zu finden. Sie stammen auch aus deutschen Familien. Zum Teil kündigen sie ihre Anschläge sogar in den sozialen Netzwerken an. Unsere Behörden müssen eingreifen und solche Menschen in Gewahrsam nehmen, um die Bevölkerung vor ihnen zu schützen. Leider hat die Polizei zu wenig Personal, und die Zusammenarbeit der Behörden lässt sehr zu wünschen übrig. Das muss sich ändern. Wer in Deutschland Straftaten begeht, muss bestraft werden. Wer bei uns Schutz sucht, aber sich nicht an die Gesetze hält und andere Menschen bedroht, muss unser Land wieder verlassen. Wir brauchen Politiker und Politikerinnen, die dafür eintreten und sinnvolle Lösungen erarbeiten. Solche, die Hetzparolen und Hass verbreiten, machen alles nur schlimmer.
Stärken wir einander gegen Hass und Hetze. Zeigen wir Haltung.
"Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit."(2. Timotheus 1,7)
Wir brauchen diesen Geist jetzt mehr denn je.
Alles Liebe und Gute für Sie und für euch!
Gabriele Koenigs
Hier singt die amerikanische Sängerin und Liedmacherin Lea Morris einen Song, den sie nach der Wahl von Trump geschrieben hat. So gut! Er heißt: "More than ever": Mehr als je zuvor... Der Text wird eingeblendet. Dadurch ist alles sehr leicht verständlich.
Viel Freude beim Anhören und Mitsingen!
Leider sind Videos bei youtube mit Werbung verbunden. Sie können die Werbung jedoch deutlich verkürzen, indem Sie auf die Schaltfläche klicken, die rechts unten nach wenigen Sekunden erscheint.
Und hier kommt die Predigt von Mariann Budde.
Im ersten Video hören Sie nur die zentralen Sätze, mit denen sie ihre Predigt abgeschlossen hat. Sie spricht hier ganz direkt zu Präsident Trump. Eingeblendet wird die deutsche Übersetzung. Dieses Video dauert nur 2 Minuten.
Das zweite Video enthält die gesamte Predigt in englisch. Sie dauert 9 Minuten.
Kommentar schreiben
Gertraud (Sonntag, 26 Januar 2025 13:18)
….kein leichter Text umso bedrückender, daß das im Moment unsere Realität ist.
Beten alleine hilft nicht, aktiv sein und handeln ist so, so wichtig !
Die/unsere Demokratie wackelt …..
Gabriele Koenigs (Sonntag, 26 Januar 2025 13:25)
Ja, liebe Gertraud, das sehe ich auch so.
Liebe Grüße
Gabriele
Hans-Jörg Ortlieb (Dienstag, 28 Januar 2025 17:47)
Danke für die klare Haltung und Stellungnahme zum aktuellen politischen Geschehen in der Welt und in Deutschland.
Als Christen dürfen wir nicht schweigen. Auch Jesus hat klar zu allen menschenfeindlichen Verhalten Stellung bezogen.
Gebet und klare Haltung sind notwendig!
Herzliche Segensgrüße und weiter so
Gabriele Koenigs (Mittwoch, 29 Januar 2025 17:28)
Hans-Jörg Ortlieb, ich danke Ihnen, dass Sie meine Worte unterstreichen. Ja: Gebet und klare Haltung und mutige Taten sind nötig!
Herzliche Segensgrüße auch für Sie!