Ich beschäftige mich gerade sehr viel mit der Kraft des Feuers. Meine Gedanken dazu sind erst im Werden. Aber ich musste unbedingt ein Bild von Feuer malen. Als ich einer Freundin davon erzählte, hat sie mir eine besondere Geschichte erzählt, die sie erlebt hat. Diese Geschichte erzähle ich Ihnen und Euch heute weiter. Die Namen darin sind natürlich geändert.

Friederike hat ihr Leben lang Tagebuch geschrieben. Ihre intimsten Gedanken, ihre Gebete und Sehnsüchte und ungelösten Fragen: Alles hatte darin einen guten Ort. In ihren letzten Lebensjahren zog sie zu Maria, einer ihrer besten Freundinnen. Eines Tages sagte sie ihr: "Du darfst in meinen Tagebüchern lesen, wenn ich nicht mehr bin. Aber bitte sorge dafür, dass niemand anders es tut." Maria versprach ihr das fest.
Nach dem Tod von Friederike gab Maria vieles aus ihrem Nachlass weiter. Schmuckstücke, Kleidungsstücke, Bücher und anderes: Alle Freunde und Verwandte von Friederike sollten ein Erinnerungsstück bekommen. Maria ist eine Frau, die liebend gerne schenkt und weitergibt und anderen Freude bereitet. Die Tagebücher gab sie niemandem. Ihr Versprechen war ihr heilig. Ab und zu schlug sie eine Seite darin auf. Aber sie empfand eine tiefe Scheu, darin zu lesen. Sie spürte, dass es unangemessen ist, darin zu lesen. Was sollte sie damit tun? In den Müll werfen ging gar nicht. In ein Regal stellen ging auch nicht. So packte sie sie schließlich zusammen und tat sie in einen großen Karton.
Lisa, eine jüngere Verwandte von Friederike, wusste um die Tagebücher. Friederike war ein wichtiger Beistand für sie gewesen. Sie hatte viel für sie gebetet und hatte ihr viel geholfen. Zu gerne hätte sie gelesen, was in den Tagebüchern über sie zu finden war. Sie fragte Maria: "Kannst du mir die Tagebücher ausleihen?" "Nein, das geht auf keinen Fall", sagte Maria. "Ich habe ganz fest versprochen, dass niemand darin liest."
Eines Tages sah Maria eine Ankündigung in einem Kirchenblatt. "Würdiges Feuer." Welch ein ungewöhnlicher Titel. Sie las weiter: Wer kennt das nicht? Wertvolle Briefe, Postkarten, Tagebücher, … irgendwann ist die Zeit, da man denkt: Wer will das mal haben? Kann das weg? Wenn ja, aber wie würdevoll verabschieden? Dies können Sie an diesem Verbrennungsabend in ihrer ganz eigenen Weise tun. Ein gesegnetes Feuer unterhalb der Allerheiligenkapelle brennt dafür.
In der Allerheiligenkapelle finden sie eine stimmungsvolle Atmosphäre mit Musik und Kerzenschein um den wertvollen Erinnerungsstücken noch nachzusinnen. In ihrem eigenen Rhythmus nehmen sie sich dafür Zeit, verbrennen danach im gesegneten Feuer Ihre Briefe, Tagebücher… Für ein Gespräch davor oder danach, wenn Sie das wünschen, sind wir vor Ort. Auch ein Impuls fürs Weitergehen im Leben können Sie mitnehmen."
Sofort wusste Maria: Da muss ich hin, mit den Tagebüchern von Friederike. Und ich frage Lisa, ob sie mitkommen will. Es ist gut, wenn mir jemand mit dem schweren Karton hilft. Und ihr liegen diese Tagebücher ja auch am Herzen.
Als sie Lisa fragte, war diese sofort einverstanden.
Zur angekündigten Zeit gingen die beiden zur Allerheiligenkapelle. Den schweren Karton trugen sie zusammen. Zuerst gingen sie in die Kapelle hinein. Es war wirklich eine schöne Atmosphäre dort, mit vielen Kerzen und leiser Musik. Einige Menschen waren gekommen. Alle hatten etwas Wichtiges dabei. Alle trugen kostbare Erinnerungen in sich, Trauer und Liebe, ungelöste Konflikte und Fragen. In der Atmosphäre war dies zu spüren, auch ohne dass die Einzelnen darüber sprachen. Alles durfte hier sein, und das war gut.
Maria zündete eine Kerze an und betete. Lisa tat es auch. Sie nahmen sich Zeit. Es gab genug Raum und Zeit für alle, die da waren. Keine Hektik, kein Gedränge, und gar keine festgelegte Liturgie. Ab und zu erklang ein Gesang, dann war wieder Stille.
Kerzen sind auch Feuer. Das Wachs verbrennt, steigt auf zum Himmel in Form von Wärme und Licht. Wie wichtig sind in der Kirche die Kerzen! Menschen lieben es, in der Kirche Kerzen zu entzünden und ihre Gebete damit zu verbinden. Es ist nichts Gefährliches dabei. Normalerweise ist es gut durchdacht, an welchen Plätzen und auf welchen Unterlagen die Kerzen stehen, damit keine Brandgefahr daraus wird. Ein richtiges Feuer vor der Kirche gibt es nur bei ganz seltenen Gelegenheiten. Das Feuer in der Osternacht, ein Johannisfeuer, ein Sonnenwendfeuer. Die Gelegenheiten sind selten. Und es ist gefährlich wegen der Trockenheit der Wälder. An diesem Abend war alles gut durchdacht. Alle, die in der Kapelle waren, spürten die Liebe und Sorgfalt und Umsicht derjenigen, die sich die Veranstaltung ausgedacht hatten. Sie waren sehr dankbar dafür.
Draußen wurde es jetzt dunkel. Das Feuer wurde entzündet. Einer nach dem anderen ging hinaus und schaute zu, wie das Holz entflammte. Beim Zuschauen ging Maria in ein inneres Zwiegespräch mit ihrer geliebten Freundin. "Gell, du weißt, dass ich deine Tagebücher nur darum verbrenne, weil ich mein Versprechen halten will? Ich werde auch nicht mehr lange leben. Ich möchte nicht, dass jemand eines Tages meine Wohnung auflöst und deine Tagebücher in die Hände bekommt. Ich liebe dich so sehr, wie ich dich immer geliebt habe. Ich will dir nicht weh tun. Und ich hoffe so sehr, dass es dir jetzt gut geht, in der Ewigkeit, im himmlischen Licht. Jetzt brauchst du keine Tagebücher mehr, und deine ungelösten Fragen sind aufgeklärt!" Woher kam auf einmal dieser Gedanke? Er tat so richtig gut. Er trug die Wahrheit in sich. Maria fühlte das. Und nun nahm sie das erste Tagebuch und warf es ins Feuer. Die Flammen züngelten daran empor. Funken stoben. Es wurde zu Licht. Feine Ascheblättchen fielen zu Boden und verbanden sich mit der Asche vom Holz. Ja, das war wirklich würdevoll. Maria spürte das. Und sie spürte eine große Erleichterung. Nun nahmen die beiden ein Tagebuch nach dem anderen aus der großen Kiste. Manche waren in Leder gebunden. Sie schnitten diese aus dem Umschlag heraus und warfen die Seiten einzeln ins Feuer. Plötzlich sagte Lisa: "Schau, dort steht mein Name!" Maria legte den Arm um sie und sagte: "Ja, Friederike hat dich sehr geliebt und hat so viel darüber nachgedacht, wie sie dir am besten helfen kann!" Die beiden hatten Tränen in den Augen, Tränen voll Rührung und Dankbarkeit. Viele Erinnerungen stiegen auf. Unter Tränen verbrannten sie ein Buch nach dem anderen. Zum Schluss kam noch der Karton ins Feuer. Endlich waren die Hände leer. Aber ihre Herzen waren voll. Das Feuer der Liebe brannte in ihnen, hell und warm.
Jemand begann, ein Lied aus Taizé anzustimmen. "Im Dunkel unsrer Nacht entzünde das Feuer, das niemals erlischt...". Manche Menschen stimmten mit ein. Maria und Lisa taten es auch. Dann war es Zeit zum Gehen. Sie bedankten sich bei dem Priester, der die Zeremonie geleitet hatte. Er gab ihnen ein gutes Wort mit auf den Weg. "Geht im Frieden des Herrn...!
Maria denkt bis heute gerne an diesen besonderen Abend. Ich bin ihr dankbar, dass sie mir davon erzählt hat. Und ich denke: "Welch eine wunderbare Idee! Ich wäre gerne dabei gewesen. Und ich hätte auch einiges zum Verbrennen gehabt."
Wahrscheinlich geht es manchen von Ihnen und Euch auch so, nicht wahr?
Ich grüße Sie alle und Euch alle sehr herzlich. Und ich freue mich darauf, bald in der Kirche in Schwaigern bei meinem Feuerbild zu stehen und mit den Besucherinnen und Besuchern zu sprechen und ihre Geschichten und Gedanken dazu zu hören. Vielleicht sind Sie auch dabei? Vielleicht seid ihr auch dabei? Es wäre zu schön!
Alles Liebe und Gute für Sie und für Euch!
Gabriele Koenigs
Hier können Sie das Lied aus Taizé anhören und mitsingen. Viel Freude dabei!
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Nun sind es nur noch wenige Tage bis zur Eröffnung meiner großen Ausstellung in Schwaigern bei Heilbronn. Ich freue mich auf alle Begegnungen dort, auf Gespräche und Geschichten, Singen und Stille, Fachsimpeln und Fragen, Kennenlernen und Wiedersehen.
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