
Susanne hat eine schwere Nacht hinter sich. Aber nun ist sie wach. Nun steht sie auf. Sie wäscht ihr Gesicht mit kaltem, klaren Wasser. Sie macht sich einen starken Tee. Jetzt kann der Tag beginnen.
In der Nacht hat sie schreckliche Alpträume gehabt. Sie hat gesehen, wie Bomben vom Himmel fallen und Menschen schreien, voller Furcht. Häuser zerbersten, Kinder weinen, Alarmsirenen heulen, und sie war mittendrin. Manche Szenen aus den Träumen weiß sie auch noch jetzt, am Morgen. Sie macht sich jetzt klar: Ich bin nicht mittendrin. Hier bei uns ist Frieden. Ich habe nichts zu befürchten. Gott sei Dank.
Sie denkt an die Menschen, die unter Krieg und Gewalt und Verfolgung leiden. So viele sind es: in Kiew, in Gaza, in Teheran, in Tel Aviv, im Kongo und im Sudan. So viele hungern und sind auf der Flucht. So viele wissen nicht, wohin. Sie fühlt mit ihnen. "Ihr seid nicht vergessen!" "Von ganzem Herzen wünsche ich euch, dass ihr Hilfe bekommt und dass die Kriege endlich enden!" Sie verbindet sich mit ihnen, schickt ihnen Liebe und gute Gedanken. Und sie betet zu Gott: "Bitte schaffe du Wege zum Frieden, heute und an jedem neuen Tag!" Segne alle, die sich für Frieden und Versöhnung einsetzen." "Bitte bewahre uns vor einem dritten Weltkrieg!"
Nach dem Frühstück geht sie in ihren Garten. Sie gießt die Pflanzen, die sichtlich unter der Hitze und Trockenheit leiden. Sie sieht die ersten Tomaten größer werden. Sie findet noch ein paar Beeren am Strauch und steckt sie direkt in ihren Mund. Wie köstlich! Sie freut sich an den Blumen, die ihr entgegenleuchten. Sie schneidet Verblühtes ab. Ihr großer Garten braucht viel Pflege. Sie tut das gerne. Und sie weiß: Auch der Frieden braucht Pflege. Sie ist seit einem halben Jahr im Ruhestand. Jetzt hat sie Zeit. Vorher war sie oft unter Druck. Jetzt ist der Druck weg. Sie genießt das sehr. Ich sehe ihr an, wie gut es ihr jetzt geht. Sie wirkt viel entspannter als früher.
Wir kennen uns schon seit dem Studium. Susanne war evangelische Pfarrerin. Sie hat in mehreren Kirchengemeinden gearbeitet. Einige Jahre war sie Leiterin der Pfarrerausbildung. Sie hat immer einen weiten Horizont gehabt, hat wissenschaftlich gearbeitet und war verbunden mit vielen Menschen, weit über ihre Kirchengemeinde und Familie hinaus. Sie hat viele Freundschaften und Kontakte gepflegt. Das tut sie auch jetzt. Besuche machen und Besuch einladen, Emails schreiben und lesen, Briefe schreiben und lesen, telefonieren, Nachrichten mit dem Handy schreiben: Sie nutzt all die vielen Möglichkeiten zur Kontaktpflege. Sie hat ein tiefes Interesse am Menschen und ein großes, verstehendes und mitfühlendes Herz. Mein Mann und ich sind dankbar für die Freundschaft mit ihr und ihrem Mann.
Susanne geht an ihren Schreibtisch und fährt ihren Computer hoch. Eine Email von einer ihr unbekannten Absenderadresse fällt ihr gleich ins Auge. "Von ganzem Herzen Dank" steht in der Betreffzeile. Jemand bedankt sich dafür, dass Susanne während des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Hannover zusammen mit anderen ein ökumenisches Friedenszentrum organisiert hat. Alle Veranstaltungen dort standen unter dem Gesamtmotto: "Friedensfähig statt kriegstüchtig". Weil das Präsidium des Kirchentags nicht bereit war, diese Veranstaltungen in das offizielle Programm aufzunehmen, haben sie auf eigene Faust eine große Halle in Hannover gemietet. Die Miete von 20.000 Euro haben lauter Privatpersonen durch Spenden aufgebracht. Und einige Friedensorganisationen haben Zuschüsse gegeben.
"Diese drei Tage dort mit euch im Friedenszentrum haben mich so gestärkt", schreibt die unbekannte Absenderin. "Wie verrückt ist die Welt geworden, dass der Friedensauftrag von Jesus angeblich nicht mehr gilt. Wie verrückt, dass wir uns auf Krieg vorbereiten sollen! Ich mache da nicht mit!"
"Ich mache auch nicht mit, niemals", denkt Susanne. "Gewalt löst keine Probleme, jedenfalls nicht auf längere Sicht." Jesu Worte vom Friedensstiften sind für sie Auftrag und Verheißung zugleich. "Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen." Es hilft ihr zu wissen, dass dies auch für viele andere weltweit eine Vision und zugleich eine Verpflichtung ist. Sie ist nicht alleine. In der ganzen Welt wirken die Friedensstifterinnen und Friedensstifter.
In ihren letzten Amtsjahren im Pfarramt hat sie sich mit der "Gewaltfreien Kommunikation" und ihren Prinzipien beschäftigt. Der Erfinder dieser Prinzipien war Marshall B. Rosenberg (1934 - 2015), ein Psychologe jüdischer Abstammung. Es ging ihm darum, dass Menschen lernen, ihre Bedürfnisse so zu kommunizieren, dass andere gerne darauf eingehen können und Lösungen finden, die dem Wohlbefinden aller Konfliktpartner dienen. Susanne hat die Ausbildung zur Trainerin gemacht und gibt jetzt Einführungsseminare und leitet Trainingsgruppen. Gewaltfreie Kommunikation ist ganz anders als die Kommunikation, die wir im Alltag gewohnt sind. Wer sie lernen will, muss grundlegend umlernen. Wie kann es
gehen, ohne Vorwürfe und Wertungen zu sprechen? Wie kann ich meine Bitten sagen, ohne dass sie wie Forderungen klingen? Wie kann ich meine Bedürfnisse klar formulieren? Das geht nicht im Handumdrehen. Es will geübt werden. Für Susanne ist es faszinierend, die Verwandlung mitzuerleben, die in einzelnen dabei vorgeht.
Vor kurzem hat sie ein mehrtägiges Seminar zur Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation geleitet. Es fand im Sonnenhof, einem "Haus der Stille" in der Schweiz statt. Zwischen den Übungseinheiten war Stille, Zeit für Gebet und Spazierengehen und zur Ruhe kommen. Die heilsame Atmosphäre im Sonnenhof hat allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut getan.
Susanne erinnert sich an einen Pfarrkollegen, der am Seminar teilgenommen hat. In der Vorstellungsrunde wurde deutlich, wie überlastet dieser Mann ist. Er war voller Vorwürfe gegen Gemeindemitglieder und seine Vorgesetzten und das Leben und durch und durch im Unfrieden mit sich selbst. Gegen Ende des Seminars gab es eine Übung, in dem die Teilnehmer ausprobieren sollten, wie es ist, jemand anderem einen Vorwurf hinzuknallen oder nach den Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation das eigene unerfüllte Bedürfnis mitzuteilen. Dieser Teilnehmer sagte: "Mir fällt gar kein Vorwurf ein!" Es war wie ein Wunder. Ausgerechnet er, der in der Vorstellungsrunde innerhalb von 3 Minuten mindestens 15 Vorwürfe gesagt hat! Susanne ist bis heute berührt, dass sie dies miterleben und dazu beitragen durfte. Sie erzählt mir davon. Ich freue mich mit ihr.
Heute hat sie auch eine Trainingsgruppe geleitet und dies und jenes organisiert. Am Abend hat sie noch ein intensives Telefongespräch mit ihrer Tochter gehabt. Danach hat sie die Aufzeichnung eines Interviews mit einem Menschen in Bosnien, der in der Friedens- und Versöhnungsarbeit tätig ist, angesehen. Es war ein erfüllender Tag. Müde und zufrieden geht sie zu Bett. Sie summt ein Lied aus Taizé vor sich hin: "Bei Gott bin ich geborgen, still wie ein Kind..." Dann fallen ihr die Augen zu. Heute kann sie gut schlafen. Sie ist geborgen im Frieden Gottes.
Mögen wir alle immer wieder in diesen Frieden finden!
Alles Liebe und Gute für Sie und für Euch
Gabriele Koenigs
P.S: Mein Ölgemälde von den Männern, die einander den Rücken stärken, hängt im Augenblick in der Schwaigerner Kirche. Viele mögen es sehr. Manchmal werde ich gefragt, woher dieses Motiv kommt. Der Fotograph James Pauls hat es in Washington aufgenommen, schon vor einigen Jahren. Dort gab es einen "Marsch der Männer für den Frieden". Christen, Juden, Hindus, Moslems haben daran teilgenommen. Es waren Männer verschiedenen Alters und verschiedener Hautfarbe. Wie sanft und behutsam sie miteinander umgehen! Einander die Hände auf die Schultern zu legen, ist für mich eine der schönsten menschlichen Gesten. Darum habe ich dieses Bild sehr gerne gemalt. Und ich freue mich sehr daran, es jetzt in der Kirche zu sehen.
Hier können Sie das Lied aus Taizé hören und mitsingen:
"Bei Gott bin ich geborgen, still wie ein Kind. Bei ihm ist Trost und Heil.
Ja, hin zu Gott verzehrt sich meine Seele, kehrt im Frieden ein."
Viel Freude dabei!
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Und hier können Sie eine Choralkantate von Felix Mendelssohn-Bartholdy hören zu der Bitte: "Verleih uns Frieden gnädiglich...", sehr schön musiziert vom Rundfunkchor des WDR und einem Saxophonquartett.
Meine erste Ausstellungswoche ist nun vorbei. Jeden Tag kamen Menschen, denen jemand aus dem Freundeskreis meiner Kunst einen Ausstellungsbesuch empfohlen hatte. Wie schön war das! Aus allen Himmelsrichtungen kamen sie und ließen sich von meinen Bildern berühren. Vielen Dank an alle, die mir auf diese Weise helfen!
Ich bin gespannt auf die Begegnungen, die noch kommen werden.
Hier können Sie ein paar Fotos aus der Ausstellung stehen und bekommen einen Eindruck von der Schönheit dieses Gotteshauses.
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